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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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dieser grässliche Sauerampfergelee auf den Tisch kommt. Ich bin die jamaikanischen Marmeladen so leid.«

    Hannah hörte längst nicht mehr zu, denn es überwältigte sie das Bedürfnis, ihre Missus anzuschreien: »Das alles? Bist ’n Fresssack, ha!« Hannah hatte die weite Strecke von der Küche in den langen Saal des Herrenhauses zurückgelegt und stand jetzt müde und unglücklich in der Tür. Das Sonnenlicht, das scharfe Schatten auf den Holzboden warf, in den Kristallgläsern aufblitzte und auf der silbernen Servierplatte funkelte, brachte ihre Augen zum Blinzeln und Tränen, denn ein so strahlendes Licht waren sie nicht gewohnt. Sie sah Caroline Mortimer nicht ins Gesicht, sondern heftete den Blick fest auf ihre gefalteten Hände – denn diese beiden schwieligen und abgearbeiteten Klauen waren das Einzige im Saal, das sie nicht verdross. Da ihre Missus jedoch zur Zimmerdecke sprach, so als lese sie ihre Liste von einem himmlischen Blatt ab, das ein Engel für sie hochhielt, hob Hannah ab und zu die Augen, denn sie war fasziniert von den blonden Locken der Missus, die ihr zu beiden Seiten des Kopfes herabhingen und auf- und abhüpften wie kleine Vögel, die an ihrer Schulter pickten.
    » Wir brauchen Plumpudding«, sagte sie zu Hannah und setzte dann hinzu: »Weißt du noch, wie der zubereitet wird?«
    Plumpudding, dachte Hannah. Plumpudding … Plumpudding. Komm, ich muss nachdenken. Wie macht man Plumpudding noch mal gleich? Ein bisschen Trockenobst, ein bisschen Melasse, Maismehl, Eier, eine Menge Rum. Alles leicht verrühren. Die Masse in die lächerliche runde Puddingform einfüllen, die die Missus ihr am ersten Weihnachten nach ihrer Ankunft gegeben hatte, und das Ganze so lange dämpfen, bis das Wasser verdunstet ist. Und wenn das Ding hart ist, ist es fertig.
    »Ich möchte nicht, dass er so wird wie letztes Jahr; das war kein Plumpudding«, bat ihre Missus. »Locker muss er sein, nicht hart wie ein Medizinball. Ich könnte es dir zeigen, falls das nötig ist«, sagte die Missus.
    Diese Unverschämtheit aus dem Mund der Missus brachte Hannah beinahe dazu, ihr ins Gesicht zu sehen. Das letzte Mal,
als die Missus den Abgrund zwischen Haus und Küche überwunden hatte, wollte sie der Köchin zeigen, dass Kuchenteig durchaus locker und genießbar sein konnte, nicht hart wie die Steine, die den Garten begrenzten, aber nur, wenn die Finger, die das Mehl einarbeiteten, Luft in die Mischung wedelten und das Fett so sanft und fürsorglich einkneteten, als wollte eine Mutter ihr Baby ins Bettchen stecken. Während dieser Belehrung durch ihre Missus hatte Hannah die ganze Zeit über die Luft angehalten wie ein glühendes Stück Kohle, das aus dem Feuer auf einen Seidenteppich gefallen ist und noch lange weiterzischt. Hannah konnte die Luft nicht eher aus ihrer Lunge ablassen, bis die Missus an den Ort zurückgekehrt war, wo sie hingehörte. Und ihre Lunge reichte einfach nicht aus, sollte diese entsetzliche Missus noch einmal in ihre Domäne eindringen.
    »Oh, Miss Hannah wird ihn richtig gut hinkriegen, Missus. Ihr werdet sehen. Der Plumpudding wird genau richtig«, versicherte Godfrey, während er Hannahs feurige Angst mit einem verschmitzten Augenzwinkern beschwichtigte.
    Während sie den Anordnungen der Missus für das Festessen lauschte, hatte die Sonne leblos am Himmel gestanden und darauf gewartet, dass die Missus endlich fertig würde – dessen war sich Godfrey sicher. Erst als alle Befehle ausgegeben waren – einschließlich der Melodie, die die Musikanten spielen sollten, während die Gäste ihre robusten Reiseschuhe gegen Hausschuhe vertauschten –, raffte sich die Sonne dazu auf, wieder über den Himmel zu wandern. Als Godfrey dann sagte: »Bitte, Missus, ich brauch viel Geld zum Einkaufen« – und an den Fingern abzählte, um die Summe zu überschlagen, bevor er seiner Missus den erforderlichen Betrag nannte –, verfiel die Sonne in einen wahren Galopp. Wie bei einer Laterna-magica-Vorführung huschten schweigend lange Schatten über den Boden, während Godfrey darauf wartete, dass Caroline wieder zu Atem kam, damit sie wimmern konnte: »Wie viel?«

    »Alles kostet, Missus. ’s braucht ’n Haufen Geld. Und in der Stadt wird’s ’ne Menge Jubel und Trubel geben, denn wenn ein Schiff kommt, fallen die Leute drüber her wie Krähen übers Guinea-Korn.«
    »Aber warum so viel?«
    »Hört mich an, Missus, hört mich an«, sagte Godfrey und legte beschwörend die Hände aneinander. »Die feinen

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