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Das lange Lied eines Lebens

Das lange Lied eines Lebens

Titel: Das lange Lied eines Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Levy
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glorreichen Nacht der Erlösung in der ermüdenden Gesellschaft ihrer Missus.

NEUNZEHNTES KAPITEL
    Tick-tack, tick-tack, tick-tack. Mit einem Ohr hörte July, wie die Standuhr im Salon die Minuten bis zu der festgesetzten Stunde zählte, da die falsche Freiheit der Lehrzeit zu Ende wäre und sie tatsächlich nicht länger als Sklavin gehalten werden durfte. Tick-tack, tick-tack, tick-tack. Ihr anderes Ohr allerdings war gezwungen, sich das Geschwätz ihrer Missus anzuhören – so wie nun schon so viele Jahre lang, bis zu nachfolgend beschriebenem Tag.
    Caroline Mortimer war damit beschäftigt, verspätet auf die einzelnen Punkte eines Streits einzugehen, den sie kürzlich mit ihrem Aufseher John Lord gehabt hatte – kurz bevor der Aufseher verächtlich schimpfend die Verandatreppe hinuntergestürmt war, sein Pferd bestiegen hatte und aus seiner Anstellung davongaloppiert war.
    »Ich hätte sagen sollen, was ich hätte sagen sollen, ach, wie sehr ich mir wünsche, dass ich es gesagt hätte. Und was hätte ich sagen müssen? ›Warum soll ich Geld für einen Aufseher ausgeben, wenn ich die Arbeit am Ende selbst verrichten muss? Soll ich mir einen Hund halten und selber bellen?‹ Ach, hätte ich es nur gesagt, Marguerite, dann hätte er den Mund gehalten und nicht darauf gedrungen, dass wir das Negerdorf aufsuchen. Aber es ist so schwer, sich eine schlagfertige Antwort auszudenken, wenn man so wenig Zeit hat. Und dieser nichtswürdige Mensch hat mich mit Anweisungen geradezu überschüttet. Mit meinem Bruder so zu sprechen, dazu hätte er nie den Mut gehabt. Wäre mein Bruder noch am Leben gewesen – er ruhe in Frieden –, er hätte darauf bestanden, dass sich der Aufseher
selbst um den Ärger mit den Negern kümmert – das ist schließlich seine Aufgabe. Mein Bruder hätte ihm gesagt, er solle sich zum Teufel scheren. Aber von mir, glaubt er, kann er alles verlangen, nur weil ich eine Frau bin. Nun, das mache ich nicht mehr mit – nein, das werde ich nicht. Es ist nicht nötig. Ich werde schon bald einen anderen Aufseher finden, der seine Arbeit anständig erledigt; und John Lord mit seinem hässlichen Backenbart und seinen entsetzlich buschigen Augenbrauen bin ich Gott sei Dank los. Ach, Marguerite, ich hätte sagen sollen: ›Soll ich etwa selber bellen?‹ Wenn ich doch nur so schlagfertig gewesen wäre…« Und damit ließ sich die Missus auf ihr Ruhebett fallen, zwitscherte aber noch immer vor sich hin wie ein verängstigtes Vögelchen.
    John Lord war der zehnte – nein, warte, vielleicht sogar der elfte – Aufseher gewesen, der auf Amity eingestellt worden war, seit Caroline Mortimer die Leitung der Plantage von ihrem verstorbenen Bruder übernommen hatte. Er war etwas länger geblieben als die meisten – über ein Jahr.
    Es war sechs Jahre her, dass Caroline Mortimer ihren Bruder in der geheiligten Erde des Kirchhofs zur letzten Ruhe gebettet hatte, links von seiner Frau Agnes und auf seinem Wurm, das nur kurze Zeit gelebt hatte. Nach dem düsteren Begräbnis war ein langer Zug von Weißen aus der Gemeinde eingetroffen – vom Scheitel bis zur Sohle in Krähenschwarz gekleidet –, um unserer Missus das Beileid auszusprechen. Und jeder der Gäste, die feierlich das Herrenhaus von Amity betraten, kam in den Genuss derselben grässlichen Geschichte: was John Howarth in jener bösen Nacht zugestoßen war, da man ihn so grausam und viehisch abgeschlachtet hatte. Der Erzählung schloss sich sogar eine Führung durch die betreffenden Räume an, die die Missus selbst übernahm.
    Anfangs trug sie ihren Bericht noch recht nüchtern vor; unterm Bett habe ein Nigger gelauert und ihren Bruder mitten ins Gesicht geschossen; dann sei der mörderische Kerl bis
ins Sklavendorf verfolgt worden, wo er vom Aufseher gestellt worden sei; doch im Verlauf des schrecklichen Aufstandes, der inzwischen ausgebrochen war, sei der Aufseher von einer grauenerregenden Sklavin angegriffen worden und später seinen Verletzungen erlegen.
    Doch die atemlose Erwartung ihrer Zuhörer, die sich hastig auf Stühlen niederließen und sich an die Brust griffen, die offenen Münder, die vor Verwunderung aufgerissenen Augen und die mitleidigen Ausrufe: Ach, meine Liebe … Ach, Sie arme, arme Frau … Ach, gütiger Gott im Himmel, was Sie nicht alles erlitten haben … Ach, Sie tapfere, tapfere Frau, Ihr Bruder – er ruhe in Frieden – wäre auf Ihre Gefasstheit so stolz gewesen … Meine Liebe, Sie machen dem Namen der Pflanzer Jamaikas

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