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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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er?«
      »Barbabianca«, antwortete der Prinzensohn mit kraftloser Stimme.
    Endlich war das über zehn Jahre gehütete Geheimnis gelüftet worden. Nächtelang hatte er wach gelegen und sich gefragt, wie Romeres es bloß angestellt hatte, seinen Vater rumzukriegen, der einst ein außerordentlich gewiefter Geschäftsmann gewesen war: Romeres war schlicht und einfach auf ihn eingegangen. Ein Gedanke durchzuckte sein Gehirn: Wenn der Alte vor seinem Tod noch einem anderen Fachmann begegnet, der ihm Recht gibt, vielleicht sogar dem Hausdiener Pasqualino persönlich, würde er zu guter Letzt noch mit ansehen müssen, wie dieser Wahnsinnige ihm ein Gaunerstückchen im Testament lieferte? Hier mußte etwas geschehen, und zwar schleunigst.
      »Habt Ihr jemals an das Perpetuum mobile gedacht?« fragte er.
      »Nein«, entgegnete der Prinz, sogleich alarmiert. »Was ist das?«
      »Ich erkläre es Euch sofort«, erwiderte langsam der Prinzensohn.

    »Vor Hitze kommt man hier bald um«, meinte Ignazio Xerri und trocknete sich den Schweiß ab.
      »Bei diesem Wetter begreift man überhaupt nichts mehr, in zwei Stunden kann auch die Sintflut über uns hereinbrechen«, legte Paolo Attard nach.
      »Wir haben September, und man könnte meinen, es sei Juli«, schnauzte Michele Navarria.
    Danach machten weder sie noch die anderen fünf Lagerhalter, die im Büro waren, den Mund noch einmal auf. Als hätten sie sich abgesprochen, war einer nach dem anderen im Abstand von einer Viertelstunde in Ciccio Lo Cascios Lager eingetroffen, und keiner sprach über den eigentlichen Grund, der sie hergeführt hatte: Die Tatsache, daß sie sich in Lo Cascios Kontor befanden, bedeutete, daß sie ihre Pflicht erfüllt hatten, und das genügte. Doch sie schwiegen auch deshalb, weil sie noch einmal Minute für Minute die Szene durchlebten, der sie einer nach dem anderen hatten beiwohnen dürfen, und ergötzten sich in einer Art genießerischem Wortgeiz. In ein paar Tagen wären sie vielleicht bereit, den Mund aufzumachen und zu Hause, im Zirkel, unter Freunden zu erzählen, wie Nenè Barbabianca teils mit eingeklemmtem Schwanz, teils mit aufgesetzter Kühnheit um Schwefel gebettelt hatte, wie der Verirrte in der Wüste Gott in seiner Gnade um Wasser anfleht.
      Die einzigen, die noch in der Runde fehlten, waren Filippo Ingrassia und Saverio Fede: Wahrscheinlich war Nenè Barbabianca noch nicht bei ihnen vorbeigekommen. Doch sie konnten schwören: Es war nur eine Frage der Zeit, und auch diese zwei würden mit einem Grinsen im Gesicht durch die Tür von Lo Cascios Lager treten.
      Der Palazzo Barbabianca hatte eine Besonderheit, die noch auf seinen vorherigen Besitzer, Fofò Cavatorta, zurückging: Sämtliche Fenster und Balkone zur Straße hin, die 1885 Quintino Sella gewidmet worden war, dem Staatsmann, den die Sizilianer noch gut, auch ohne Straße, im Gedächtnis verewigt hatten, waren sorgfältig mit Steinquadern und Kalkverputz zugemauert.
    Fofò Cavatorta wollte seinerzeit keine Gefahr laufen, daß sein Auge, auch nicht rein zufällig, etwas von dem häuslichen Leben des Nachbarhauses Casa Ciaramiddaro mitbekam. Nun, meine Herrschaften, der Anblick der Ciaramiddaros bei der Verrichtung ihrer alltäglichen Beschäftigungen würde ihm – so behauptete er unsagbaren Ekel bereiten. Ob dieser Initiative des Cavatorta waren auch die Ciaramiddaros glücklich und zufrieden, ja sie bedauerten vielmehr, daß nicht sie selbst als erste diesen netten Einfall gehabt hatten. Als glühende Bourbonenanhänger und der Pfaffen Freund bereitete ihnen der Blick ins Innere der Schlafzimmer Fofò Cavatortas, ein Liberaler und offenkundig ein Verschwörer, ständige Schwindelgefühle, so als würde ihr Auge in den aufgerissenen Höllenschlund schauen. Über diese so originelle Abneigungsbekundung zwischen zwei Familien wurde viel gelacht und geredet im Dorf; es war etwas, was man den Fremden mit einem gewissen Stolz erzählen konnte, denen man jedoch pflichtbewußt einige Todesfälle verschwieg: Einmal war jemand auf der Seite der Familie Ciaramiddaro, dann wieder bei den Verwandten von Cavatorta auf einfallsreiche Art und Weise hingemetzelt worden. Diese Ermordeten trübten zuweilen die bizarre Annehmlichkeit ihrer Feindseligkeit. Nach der »Landung der Tausend« hatten sich die Ciaramiddaro prompt, wenn auch nur vorübergehend, als überzeugte Einheitsstaatler an die Seite der Cavatortas – Garibaldi-Anhänger, wie man einige Jahrzehnte später

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