Das launische Eiland.
überging, der sich mit dem Gurren der in den Dachrinnen brütenden Tauben vermischte, hatte den siebzehnjährigen Andrea, Erben des Hauses Ciaramiddaro, auf hundertachtzig gebracht. In einer der dunklen Abstellkammern hatte er einen Eckstein aus dem Fenster genommen und konnte von dort aus zweimal pro Woche die Teilansicht von Signora Heike genießen; von den Mühen des Unterrichtens erschöpft, mußte sie sich hin und wieder ans Speicherfenster lehnen, von wo aus man den Blick über die Dächer des Dorfs bis hin zur Linie des Meeres hatte. Signora Heike litt und krümmte sich vor Schmerz, zu diesem Schluß war Andrea von seiner Position aus gekommen – denn das Fenster, aus dem er den Eckstein herausgelöst hatte, lag unterhalb des Dachbodens des Palazzo Barbabianca –, und jedesmal, wenn sich die junge Frau am Fenster zeigte, begann sie am ganzen Leib zu zittern, faßte sich an die Kehle, klappte den Mund auf und zu, als fehlte ihr die Luft zum Atmen. Zuerst wurde sie kreidebleich, dann lief sie feuerrot an, plagte sich genau wie ein Stieglitz im Käfig, der das Köpfchen zwischen die Gitter steckt und vergeblich versucht, sie auseinanderzubiegen, um die Freiheit wiederzuerlangen. In solchen Momenten träumte Andrea mit offenen Augen davon, Astolfos Pferd und Orlandos Schwert zu besitzen, um mit zwei Streichen die verhaßten Barbabiancas zu ermorden, die liebliche Gefangene zu befreien, die er sich nach den Zeichnungen Dorés, auf die er einen flüchtigen Blick hatte werfen können, nackt vorstellte, und mit ihr auf den Mond zu fliehen.
»Macht Totuzzo Fortschritte?« erkundigte sich Gaetano von Zeit zu Zeit bei seiner Gemahlin.
»Ziemliche und zahlreiche«, erwiderte Signora Heike in ihrem Lehrbuchitalienisch.
Aber sie sagte nicht, um welche Fortschritte es sich handelte.
Totuzzo machte vor allem dann Fortschritte, wenn die Signora, des vielen Sprechens müde, sich mit den Ellenbogen aufs Fensterbrett stützte, um Luft zu holen. Ein Jahr, nachdem die junge Frau sich seiner angenommen hatte, hatte Totuzzo – erregt von der unvermuteten Entdeckung eines bislang nur schemenhaft vorgestellten Universums, das ihm jetzt in all seiner herrlichen Wirklichkeit dargereicht wurde – es dahin gebracht, fast klar und deutlich zu sagen: »Mein Glücksbrunnen.«
Zwei Jahre später kamen gut verständlich die Worte: »Gib ihn mir«, »Gib sie mir«, »Nimm ihn dir« über seine Lippen.
»Fünftausend Kantar? Bis heute abend? Ja, haben Sie denn nicht mehr alle Tassen im Schrank?« wimmelt Filippo Ingrassia ihn mit vorgespielter Verwunderung ab. Nenè Barbabianca sieht mittlerweile aus wie ein Fußabstreifer. Er hat sein Jackett ausgezogen und hält es am Kragen mit der einen Hand fest umklammert, mit der anderen gestikuliert er, als zöge er jemandem den Hals lang. Der Schweiß aus den Achselhöhlen hat sein Hemd bis auf Gürtelhöhe durchtränkt, die ehemals schwarzen Schuhe sind jetzt grau vom Straßendreck.
»Auch morgen wären sie mir noch recht«, stößt er heiser hervor und fährt sich mit der Zunge über die glühend heißen, aufgeplatzten Lippen.
»Davon kann nicht die Rede sein«, erwidert Filippo Ingrassia in überzeugendem Tonfall und stolz auf sich und seine schauspielerischen Fähigkeiten.
Während Nenè die im übrigen absehbaren Antworten entgegennimmt, wird er in dem bestätigt, was ihm längst klar ist: Die abschlägigen Worte, mit denen er beschieden wird, nehmen ganz eindeutig an Unverschämtheit zu. Angefangen bei der falschen Höflichkeit der ersten Neins, die auf verschiedenste Weise mit Ausreden und Unvermögen begründet worden waren, muß er jetzt knappe Absagen erdulden und ist innerhalb von weniger als zwei Stunden von einer Respektsperson zu einem Störenfried, einem lästigen Geschmeiß geworden, dessen man sich wie eines Hunds leicht mit zwei Fußtritten entledigen kann. Die Stafette, die die jungen Lagerburschen ohne Zweifel zwischen den einzelnen Lagern laufen und ihn dabei an Auswahl und Geschwindigkeit schlagen, bestärkt die letzten ihm noch verbliebenen Lagerhalter in ihrem gemeinsamen Beschluß: Der Solidarität, der wiedergefundenen Einigkeit gewiß – bis tags zuvor haben diese Hornochsen einander bekriegt, wie sie nur konnten –, versuchen sie jetzt nicht einmal mehr, vor ihm das Gesicht zu wahren. Ohne größere Umstände zu machen, schicken sie ihn einfach zum Teufel, so fest sind sie davon überzeugt, daß schon Verwesungsgeruch in der Luft
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