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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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liegt.
      »Du mußt dich beugen wie die Weide im Wind, bis das Hochwasser vorüber ist«, denkt Nenè, als Filippo Ingrassia es nicht einmal für nötig hält, sich zu erheben und ihn zur Tür zu begleiten. Und dieses Sprichwort nimmt er als Leitspruch mit auf den Weg, auf daß er den Kopf wieder erheben möge, sobald der Flußlauf abgeschwollen ist.

    Im dritten Stockwerk des Palazzo Barbabianca hinter verschlossenen Fensterläden genau unter dem Speicherraum, wo seine Gattin zweimal wöchentlich mildtätig Totuzzo Unterricht erteilte, war Gaetano, das heißt Stefano in glühendem Gebet versunken. Sein Kopf ruhte auf dem Brett einer mit Intarsien geschmückten Kniebank, die er sich aus einer Wunderkirche in Palermo hatte kommen lassen. Sein Gemach enthielt keinerlei Dinge, die an die geschäftlichen Umtriebe seines Vaters Don Totò und seines Bruders Nenè erinnerten: Es gab weder Hauptbücher noch doppelte Buchführung oder Schwefelbestellungen. Von den Wänden herab überwachten und lenkten dort angeklebte Heiligenbildchen für jede Lebenslage das alltägliche Dasein von Gaetano: Santa Lucia, die mein Augenlicht beschützt; San Calogero della Marina, der Wunder vollbringt von früh bis spät; Sant'Antonio, der für eine Messe jed' Ding vergeblich sein läßt, und so weiter. Unter jedem Heiligenbild gab es einen winzigen Holzaltar, auf dem je nach dem Wunder, um das gebetet wurde, ein Lichtlein brannte: Da es dunkel war und acht oder neun Gnadengebete aufzusagen waren, ähnelte das Zimmer einem Friedhof zu nächtlicher Stunde.
    »Mein Sohn, der Tor«, nannte Don Totò ihn resigniert in
    einer Mischung aus Zuneigung und Verachtung, denn auf der anderen Seite war diese Sache auch eine Art Adelsausweis, denn in der Tat gab es im ganzen Ort keine blaublütige Familie, die nicht mindestens ein Familienmitglied in ihren Reihen hätte, das sich außergewöhnlichen Tätigkeiten verschrieben hatte: Scheiße fressen zum Beispiel oder erfolglos versuchen, Fliegen in den Arsch zu ficken. Dieser nunmehr fünfundzwanzigjährige Sohn, der auf die Welt kam, als der Vater glaubte, längst keine Munition mehr zu besitzen, ein Spätzünder also, war eine fortwährende Enttäuschung. Sein bloßer Anblick, ein Albino auf wackeligen Beinen (nach wem war dieses gottlose Geschöpf bloß geraten?), ließ in seinem Gegenüber auch die geringste Hoffnung ersterben. Dermaßen blaß und zerbrechlich, daß er durch das bloße Ansehen der Speisen auf dem Teller schon erschöpft war und sich todmüde auf den Boden warf, wenn er rein zufällig einen etwas kräftigeren Atemzug tat. Als er ebenso wie sein älterer Bruder zum Studium der Chemie in die Schweiz geschickt worden war, hatte er sofort bewiesen, daß er nicht zum Lernen taugte; die Professoren in Zürich hatten sich die Mühe gemacht, Don Totò zu schreiben, und fragten ihn, ob er diesen seinen Sohn tatsächlich bald zu Grabe tragen wolle. So war Gaetano nach zwei Jahren im Ausland wieder nach Vigàta zurückgekehrt und präsentierte seiner Familie eine ausländische Ehefrau, über die man besser kein Wort verlor. Don Totò hatte für diesen Sohn eigentlich eine Heirat mit der Enkeltochter Blandino Torrevecchias vorgesehen, die zwar ein bißchen hinkte, aber immerhin vier Bergwerke erben würde. Gaetano hatte aus der Schweiz nicht nur ein Weib mitgebracht, von dem man nicht wußte, ob sie Fisch oder Fleisch war – zugegeben, sie war gut und hatte auch das brave Gesicht einer waschechten Ehefrau, doch sie war nun mal durch und durch Schweizerin –, sondern auch diese Art religiöser Manie, über die nur Padre Cannata, der andere Dorfpfarrer, sich freuen konnte, denn Padre Imbornone scherte sich einen feuchten Kehricht um solche Sachen. Dank seiner Charakterschwäche registrierte Gaetano stets mit der Präzision eines Uhrwerks jedes noch so geringfügige Ärgernis, jede Bugwelle in der väterlichen Firma. Sobald er kapierte, daß in diesem Moment etwas schieflief, verließ er eiligst seinen Schreibtisch, wo Don Totò ihn für die Berechnungen plaziert hatte – zumindest darin taugte er etwas –, und stürzte, den Kopf zwischen den Schultern, davon, um sich in sein Zimmer im Palazzo Barbabianca einzuschließen. Dank dieses mehr oder weniger häufigen Ausbüchsens war Donna Matilde, Frau von Don Totò und Mutter von Nenè und Gaetano, nach und nach in der Lage, den recht abenteuerlichen Geschäftsgang der Firma ihres Ehemanns zu verfolgen. Ihr persönlich wurde nichts erzählt, da die

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