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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Lastenträgern zählten auch die Fuhrmänner – besser gesagt die Knechte – nicht, denn Pferd und Karren waren ja nicht ihr Eigentum. Infolge des ewigen Einerlei der Fahrstrecke vom Schwefellager zum Strand und vom Strand zum Schwefellager waren sie schon ganz bedeppert; je mehr Fahrten einer machte, desto größer war sein Verdienst. Doch es hieß aufgepaßt, daß das Pferd nicht lahmte, kein Rad zu Bruch ging.
    Passierte nämlich so etwas, dann hatte er zwei oder drei Wochenlöhne verspielt, und ein Wochenlohn war wegen der Abgaben an den Besitzer des Pferds und des Wagens ohnehin schon erbärmlich. Nicht zählten auch die Spitzhacker im Bergwerk und die Schwefel- oder Salzminenarbeiter, denen die Augen tränten, wenn sie ans Sonnenlicht kamen, und die nachts vom Husten geplagt wurden, deren Lungen mehr aus Staub und Stein denn aus Fleisch bestanden; nicht dazuzuzählen waren die Netzfischer, die nach einem Tag auf tobender See, wo sie ihr Leben aufs Spiel setzten und doch nur ein halbes Kilo Seebarben nach Hause brachten, von dem zehn Leute satt werden sollten (»Ausschußfisch, denn dieses trostlose Volk angelt nicht für sich selbst«, hatte wiederum Professor Marullo geschrieben). Doch da es inzwischen Essenszeit war, aßen auch die, die nicht zählten. Das taten sie mit viel Phantasie, denn es galt sich selbst zu überlisten und zu überzeugen, daß der Brotbelag für den Kilokanten Graubrot ausreichte, der aus einer Salzsardine, einem hartgekochten Ei oder einer Handvoll Oliven und mehr nicht bestand. So ließ man also die Sardine von der Spitze eines Angelstocks herabbaumeln, biß ein Stück Brot ab und leckte einmal an dem Fisch, fuhr mit der Zunge über die Haut: Die Zähne kamen erst später mit dem Fischfleisch in Berührung, dann, wenn zwischen Brotmenge und Belag ein vernünftiges Verhältnis entstanden war. Oder man nahm das hartgekochte Ei ganz in den Mund, das zu diesem Zweck richtig fest sein mußte, behielt es eine Weile zwischen Zunge und Gaumen und zog es dann ganz wieder heraus; mit diesem Geschmack im Mund war man fähig, auch einen halben Kanten trockenes Brot zu essen. Im Bedarfsfall konnte das Ei auch noch am nächsten Tag tauglich sein. Die Begnadeteren, deren Arbeit auch das Gewohnheitsrecht des Brotbelags auf Kosten des Arbeitgebers einschloß, aßen caponatina, einen Salat aus Kapern, Bleichsellerie, Auberginen und Tomatensauce, der in Essig schwamm, und fühlten sich wie Gott in Frankreich. Denn es war Dienstag, den 18. September, und dienstags gab es nichts Gekochtes in den Familien: Das Feuer im Herd wurde nur donnerstags und sonntags entfacht, wenn die Nudeln zubereitet wurden. Sie ließen es sich schmecken, und über die Angelegenheiten, die sich im Dorf zutrugen und ihnen irgendwie zu Ohren gekommen waren, verloren sie kein Wort: »Wer unten steht, muß immer so tun, als ob«, und sie würden immer unter der Knute stehen und ihre undankbare Arbeit verrichten, Hoffnung auf Veränderung ihrer Stellung hegten sie keine, auch wenn irgendein Verrückter durch die Gegend lief und halblaut sagte, daß die Dinge unter den Faschisten ganz anders laufen würden. »Geschichte ist es, und Geschichte wird es sein«: Wenn sie nicht ins Blickfeld des Barons Raccuglia gerieten, hieß das noch lange nicht, daß der Baron Raccuglia in das ihre trat. »Läßt ein einziges Vögelein etwas fallen, trifft es genau den, der unten steht und ackern muß«, sagt das Sprichwort. Und sie standen unten und ackerten.
      Nehmen wir beispielsweise Garibaldi, auch er war vor rund dreißig Jahren hierhergekommen, um viel zu schwafeln und blauen Dunst zu verbreiten. Ihm haben sie es im Klartext gesungen:
    Wir wollen Garibaldi
    Doch Bedingung ist: für uns kein Waffendienst!
    Wenn der in Dienst uns nimmt,
    Schwenken wir das Fähnlein um, ganz bestimmt!

    Wie war es dann gekommen? Sie wurden zu den Waffen gerufen, und die Fahne konnten sie nicht mehr wechseln.
    In der Mine Trasatta, Grundstein für den ewigen Haß Don Ciccio Lo Cascios auf Don Totò Barbabianca, hatte Paolino Praticò noch vor allen anderen sein Knäuschen Brot zusammen mit sieben Oliven verspeist, lehnte sich nun an eine Erdaufschüttung und sang sein übliches Liedlein:

    Schuften von abends bis in die Früh, Schlimmer als der Hofhund an der Kette.

      Und um ihn herum ließen die Spitzhacker, die Gräber, die Handlanger den Kopf zu ihrem Brot sinken.

    Schwarzer Tag, bitterer Tag, dachte Donna Matilde Barbabianca, die noch immer auf dem

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