Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
Vom Netzwerk:
wartet, bis der andere es getrunken hat, doch kein Laut kommt über seine Lippen. Unverändert lächelnd blickt er ihn an. Mit einem erstaunten Aufzucken stellt Nenè Barbabianca fest, daß er tatsächlich die Augen geschlossen hatte und für einige Sekunden weggedämmert war: Der stille, leere Lagerraum, der freundliche Blick Saverio Fedes, das Spannungablassen haben ihm diesen Streich gespielt, und jetzt ist er wirklich wachsam. Endlich begreift er, wie unnatürlich das anhaltende Schweigen des Lagerhalters ist, der ein wenig nach vorne gebeugt dasitzt, die Arme auf die Knie gestützt, und ihn mit unbeweglichem Gesicht anstarrt.
      »Nun, also?« fragt er ihn seinerseits, doch der gibt ihm keine Antwort, sagt weder hü noch hott.
    »Und nun?« wiederholt er mit lauter Stimme, während er
    beinahe erschrocken vom Stuhl aufspringt, denn mit einem Schlag kommt ihm eine Szene in den Sinn, die er als kleiner Junge auf dem Land erlebt hat: Da gab es eine grüne Schlange, die mit dem gleichen eisigen Blick wie dem von Saverio Fede eine Ratte anstarrte, und dann, ehe du dich's versiehst, schwupps, war das Nagetier verschwunden, steckte schon zur Hälfte im Maul der grünen Schlange. Beim Aufstehen begreift er, daß es keine Antwort geben kann und daß alles, was er jetzt tut, die Stimme erheben und Erschrecken zeigen, dem anderen zu nur noch größerem Vergnügen und Befriedigung verhilft. Er ist reingefallen, und diese Tatsache ist die schlimmste von allen: Das ist er, der Essig, oder nicht? Der mit Essig getränkte Schwamm.
      Das Aniswasser in seinem Mund schmeckt mit einemmal bitter, wie Gift, doch er faßt Mut und zieht Energie aus den Nerven- und Muskelbündeln, in die sich sein Leib verwandelt hat. Mit gespielter Ruhe zieht er sein Jackett zurecht und verabschiedet sich von Saverio Fede mit einer leichten Verbeugung.
      »Haben Sie dennoch vielen Dank. Ich wünsche einen schönen Tag.«
      Er kehrt ihm den Rücken und geht hinaus. Doch kaum ist er draußen, spürt er, wie seine Beine versagen. Kalt wird ihm, aber nicht nur wegen alldem, was er gerade durchgemacht hat, sondern auch, weil der Himmel beinahe ganz zugezogen ist, und ein Windstoß klebt ihm die schweißnassen Kleider auf der Haut fest.

    Michele Navarria war beim Essen. Er wohnte allein am Ortsrand in einem Haus, das rundherum von spitzen Agaven und stachligem Gurkenkraut umgeben war. Die Leute behaupteten, dies sei der richtige Ort für ihn, denn wenn sich ihm jemand näherte, konnte es gut passieren, daß ihn ein Schwall giftiger Worte wie Pfeilspitzen aus dem Hinterhalt traf. Und die, darauf konnte man schwören, führten bestimmt zu einer Vereiterung, so viel Gallenbitternis und Gift hatte dieser Mann von Natur aus in sich. Er besaß den Charakter eines reißenden Tiers und mied gewöhnlich menschliche Gesellschaft: Auf Nenè Barbabiancas Anfrage hätte er jedenfalls mit Nein geantwortet, daran gab es nichts zu rütteln. Doch zu wissen, daß seine Weigerung im Verbund mit der der anderen handfesten Schaden anrichten würde, erfüllte ihn mit gewaltiger Freude. So kam es, daß Nunziata beinahe in Ohnmacht fiel, als sie in den Speisesaal ging, um den leergegessenen Teller Michele Navarrias abzudecken, und nicht wie gewöhnlich einen Schwall Schimpfworte, der sie wie ein Schwarm erboster Bienen in die Küche verfolgte, aus dem Mund des Hausherrn vernahm, sondern die klaren und deutlichen Worte: »Nunzià, die Pasta hat geschmeckt.«

    Padre Imbornone aß wie üblich seine Fleischbrühe mit einem halben Dutzend aufgeschlagenen Eiern darin, während in der Küche ein halbes gebackenes Zicklein im warmen Ofen und unterm kühlenden Wasserstrahl eine halbe Wassermelone seiner harrten.
      »Von allem esse ich stets nur die Hälfte, so fühle ich mich hinterher nicht zu schwer.«
    Auch er speiste allein, genau wie Michele Navarria, was
    für einen Pfarrer wie ihn ganz selbstverständlich war: In der Küche werkelte Filippa, die Schwester des Sakristan. Obwohl er weder Brüder noch Schwestern hatte, hatte Padre Imbornone im Ort vier junge Burschen als seine Neffen gesetzlich anerkannt, die ihm vom Scheitel bis zur Sohle glichen; alle vier hatten die gleiche haarige Warze auf der linken Nasenseite wie er. Blutgeheimnisse, die vor allem in Sizilien dem gleichen verschlungenen, unterirdischen Lauf folgten wie die Aale. Böse Zungen behaupteten, wenn einer bei Padre Imbornone die Beichte ablege, könne er sich genausogut auch einen Schuß in den Kopf

Weitere Kostenlose Bücher