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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Stuhl am Kopfende der Tafel saß. Ihr war einfach nicht danach, sich zu erheben, obwohl außer ihr niemand mehr im Speisezimmer war. Heike war wie üblich, nachdem sie zwei Blatt Salat und einen Happen Käse geknabbert hatte, auf den Speicher geeilt, um Totuzzo zu unterrichten; Marietta, die andere Schwiegertochter, hatte keinen Bissen angerührt und gesagt, sie wolle auf Nenè, ihren Mann, warten; doch als der schweißdurchnäßt und mit einem Blick wie ein geprügelter Hund zurückkehrte, war er, anstatt sich zu Tisch zu setzen, schnurstracks in sein Zimmer gegangen und hatte sich dort eingeschlossen. So war Marietta der Magd in der Küche zur Hand gegangen. Von Stefanuzzo war keine Spur zu sehen gewesen, denn fünfzehn Rosenkränze brauchten nun mal ihre Zeit, und anschließend war er vielleicht in der Lage, nochmals von vorne anzufangen; die Geschichte, die da ablief, schien wirklich schlimm zu sein, nicht so sehr, weil Stefanuzzo und Nenè ein Gesicht machten wie zwei Mäuse im Mauseloch, nachdem sie die Katze gesehen hatten, sondern weil längst klar war, daß Totò an diesem Tag nicht mehr bei Tisch erscheinen würde. In den gesamten fünfzig Ehejahren hatte ihr Ehemann nicht einmal bei Tisch gefehlt, ausgenommen die Male, da er nicht in Vigàta gewesen war. Eine Betschwester war Donna Matilde nie gewesen, weder als junge Frau noch als alte Dame, doch jetzt war sie beinahe verängstigt. Vielleicht würde ein schönes Avemaria in diesem Augenblick Trost bringen, denn an Wunder glaubte sie wahrlich nicht. Und während sich in ihr ein ungehöriger Gedanke breitmachte (wir haben ja schon unseren Stefanuzzo, der für alle betet, der reicht tausendmal), verspürte sie im Nacken ein leichtes Kribbeln wie von einer Fliege. Sie drehte sich um. Hinter ihr stand an den Geschirrschrank gelehnt Tano Sciarretta und beobachtete sie, doch kaum sah er, daß sich Donna Matilde umgewandt hatte, tat er so, als zählte er die Haare auf seinem Handrücken.
    Vor Urzeiten war Tano als Ladenjunge in Don Totòs Dienste getreten. Da es schon etwas Außerordentliches war, wenn ihm pro Tag zehn Worte über die Lippen kamen, wurde er »das Grab« genannt, und kaum war Palazzo Cavatorta Familienbesitz geworden, rückte er zum Hausdiener auf. Doch mehr als Hausdiener war er eine Art Vertrauensperson, ein unmittelbarer Zeuge und Beteiligter eines jeden, ob gewichtigen oder nebensächlichen, Vorkommnisses im Hause Barbabianca. Im Jünglingsalter war Tano mit seinen zwei Meter Körpergröße ein Schrank von einem Mann gewesen, und auch wenn sich seine Schultern mit der Zeit krümmten, konnte er noch immer auf die anderen herabsehen: Seine Verschwiegenheit war mit den Jahren immer größer geworden – die Mühe, die es ihn kostete, ein Wort ans andere zu reihen, verzerrte seinen Mund und ließ die Falten um seine Augen anschwellen; seine Haare waren ergraut, und er galt als halbes Orakel, an das man sich im Bedarfsfall wenden konnte. Donna Matilde begriff, daß Tano nicht ohne Grund ins Eßzimmer gekommen war, und tat das, worauf der Diener vermutlich wartete: Sie begann zu reden. »Was soll ich tun, Tano, soll ich auf ihn warten?«
    »Nein, die Dame.«
    »Und warum nicht?«
    »Es wäre vertane Zeit.«
      Eben deshalb, nun besaß sie die Gewißheit, daß es sich um eine schwerwiegende Angelegenheit handelte.
    »Also, du behauptest, er kommt nicht mehr zum Essen?«
    »Nein, die Dame.«
      »Bring du ihm das Essen, ich mach einen Teller mit Fleisch zurecht.«
    »Nein, die Dame.«
    »Du willst ihm das nicht bringen?«
    »Nein, die Dame.«
      Und nach einer Weile fügte er wie zur Rechtfertigung hinzu: »Es könnte nämlich passieren, daß er mir den ganzen Teller mit Fleisch ins Gesicht schmeißt.«
    »Aber was ist nur passiert? Darf man das erfahren?«
    »Ich weiß von nichts.«
      Schweigen. Doch Donna Matilde war ein Rassehund, und wenn sie einmal Lunte gerochen hatte, gab sie nicht so schnell wieder auf.
    »Dann geh ich also in sein Kontor?«
      Tano fuhr hoch und warf ihr einen messerscharfen Blick zu, dann senkte er wieder die Augen. Im Zweifel, ob diese Geste Zustimmung oder Verneinung zu bedeuten hatte, hakte Donna Matilde jetzt energischer nach.
      »Nun, was ist? Soll ich gehen?« fragte sie, und ihre Stimme veränderte sich erneut.
    »Ganz wie es der Herrin beliebt.«
    Es war ein Fehler gewesen. Tano war vom Orakel sofort
    wieder zum gehorsamen Diener geworden, der seine Hände in Unschuld wusch und kommentarlos tat, was ihm

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