Das launische Eiland.
Gedankenblitz, den er schleunigst vergessen wollte. Für einen Moment schloß er die Augen, und als er sie wieder öffnete, sah er lange in den Himmel, der sich jetzt von allen Seiten her zuzog. Dann tat er einen tiefen Atemzug und hob die Hand, um in seine Westentasche zu greifen, wo er die Pfeife aufbewahrte, doch auf halber Höhe hielt er wie gelähmt inne: Dort, wo das Himmelsgrau in das des Meeres überging, teilte eine pechschwarze Rauchsäule den Horizont in zwei Hälften und stieg so hoch, als ob das Schlechtwetter ihr nichts anhaben könnte.
»Gridu di malu tempu tra li gulfi…«, hob Simone Curtò di Baucina an, und ein noch heftigerer Windstoß als zuvor ließ die Glasscheiben des Salons erzittern.
»Wie bitte?« fragte Lemonnier.
»Das schlechte Wetter brüllt zwischen den Golfen«, übersetzte der Marchese höflich und fuhr fort: »Kennen Sie den Meli? Unseren Nationaldichter? Ach, verzeihen Sie, Sizilianisch verstehen Sie ja nicht. Das ist der Anfang eines Begräbnislieds, das der Meli zum Tod des berühmten Priesters Francesco Carì schrieb, der dogmatische Theologie in Palermo lehrte und vielleicht aus diesem Grund reichlich Sonette und Epigramme schrieb, die kein gutes Haar an Fratres und Pfarrern wie ihm ließen.«
»Das ist kurios«, kommentierte Lemonnier.
»Was soll daran kurios sein? Sehen Sie sich Padre Imbornone an: Glauben Sie nicht, daß Francesco Carì über ihn einen richtigen Wälzer hätte schreiben können?«
»Warum schaut ihr mich an? Redet ihr vielleicht schlecht über mich?« fragte Padre Imbornone, erhob sich aus seiner Sofaecke und kam mit einem Sorbett in der einen und einer Zigarre in der anderen Hand näher.
»Wie könnten wir!« entgegnete der Marchese. »Ich erzählte gerade unserem Freund Lemonnier von dem Gedicht des Abate Meli für Francesco Carì…«
»Ein großer Mann!«
»Wer, Meli oder Carì?«
»Carì. Der Meli hat mich nie überzeugt.«
»… und ich fragte mich, ob auch Ihr, Padre Imbornone, nach Eurem Tod in einem Jahrtausend einen würdigen Dichter finden werdet, der Euch gerecht wird.«
»Bestimmt wird das nicht unser Mitbürger Filippo Ingrassia sein«, erwiderte Padre Imbornone laut lachend und begriff den Seitenhieb nicht.
Die exzellente Zigarre des Marchese hatte ihn duldsam werden lassen.
»Ingrassi ist ohne Phantasie, verzeihen Sie den Reim, den Vers über mich könnte ich ihm selbst diktieren, so aus dem Ärmel geschüttelt: ›Tot ist Padre Imbornone nun, Pfaffe, Dieb und Lügenbold.‹«
»Also bedarf es bei Ihnen des Abate Meli, auch wenn er Sie nicht überzeugt«, sagte der Marchese.
»O nein, mein Wertester, nicht einmal den will ich. Gegebenenfalls einen wie den Micio Tempio: Fora di mia li truci oggetti e l'iri / amu la Paci e cantu lu Piaciri.«
»Fern von mir die bösen Ding', den Zorn…«, begann der Marchese zu übersetzen, doch Lemonnier setzte fort: »… den Frieden lieb ich, und des Lebens Freud besing ich.«
»Bravissimo!« rief der Marchese. Und erneut zu Padre Imbornone sagte er: »Ach ja, ich hätte es beinahe vergessen, Ihr seid immer schon ein Studiosus der ›Grammatica Pelosa‹ gewesen, genau wie Padre Siccia.«
»Ich hege nicht die gleichen Vorlieben wie Padre Siccia, das wissen alle im Ort und können es Ihnen beweisen!« versetzte Padre Imbornone hitzig, und sein Gesicht verfärbte sich zusehends.
»Wer ist denn dieser Reverendus Siccia?« fragte Lemonnier dazwischen, weil er seit ein paar Minuten überhaupt nichts mehr begriff, aber auch weil er entdeckt hatte, daß seine Zwischenfragen wie Wasser auf das Feuer wirkten, das leicht zwischen dem Marchese und Padre Imbornone auflodern konnte.
Die zwei starrten ihn einen Augenblick fassungslos an, dann bogen sie sich vor Lachen: Padre Imbornone, ordinär wie immer, stampfte zwei-, dreimal mit dem Fuß auf, rief: »›Reverendus! Reverendus!‹« und mußte geschwind sein Sorbetglas auf der Anrichte abstellen, da er sich am Rauch verschluckt hatte.
»Was heißt hier ›Reverendus‹! Das ist eine Figur, sozusagen eine dichterische Gestalt von Micio Tempio«, klärte der Marchese, der sich als erster wieder gefangen hatte, ihn auf, zumal er gesehen hatte, daß Lemonnier auf ihren Lachanfall hin zu Boden blickte. »Das ist ein Pfaffe, der die Angewohnheit hat, mit seinen Schülern Sodomie zu betreiben.«
»›Nach dem verbrannten Sodom / wurd es Sodomie benannt, / doch warum es Schand sein soll, /
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