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Das launische Eiland.

Das launische Eiland.

Titel: Das launische Eiland. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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kapier ich nimmermehr…‹«, trällerte Padre Imbornone und trocknete sich die Tränen ab, während sein Leib noch immer von Lachern geschüttelt wurde.
      Und sogleich ergingen sie sich in einem Meer von Zitaten, deren eindeutig obszöne Bedeutung Lemonnier nur stellenweise begriff.
      Am Vormittag hatte der Marchese, bevor er den Zirkel verlassen hatte, ihn und Padre Imbornone in sein Landhaus in der Nähe des Toter-Mann-Hügels eingeladen.
    »Sind Sie jemals dort gewesen?«
    »Noch nie.«
      »Sie werden sehen, lieber Ingenieur, welch herrlichen Blick man von dort aus hat.«
      Er war also hingegangen, und aus dem versprochenen Imbiß war ein Mahl mit sieben Gängen geworden, und das nur für die beiden Gäste. Für sich selbst hatte der Marchese die übliche passierte Gemüsesuppe und ein Glas Milch verlangt.
    Jetzt saß Lemonnier neben dem großen brennenden Kamin, während draußen ein Gewitter aufzog. Gegen die angenehme Müdigkeit der Verdauung ankämpfend, hatte er für einen Augenblick seine Wachsamkeit abgelegt: Inmitten der Sizilianer war er gezwungen, ständig in Habachtstellung zu sein, um ja das Ausgesparte, den Rückverweis, das Unausgesprochene aus ihren Worten herauszuhören, in denen der eigentliche Sinn, die eigentliche Bedeutung steckten. Das, was die explizite Hauptaussage zu sein schien, war nichts weiter als ein Deckmantel, Augenwischerei. Hic et nunc hatte sich die Einladung, die er bekommen hatte, tatsächlich als solche und nichts weiter entpuppt. Es war ein nettes, angenehmes Beisammensein unter Freunden, die sich an den kulinarischen Genüssen erfreuten und sich über alles austauschten, was ihnen gerade so in den Sinn kam. Diese Sizilianer waren in Wirklichkeit gar nicht so schlimm, wie sie immer taten. Wenn sie sich noch bis vor wenigen Stunden wie Kannibalen gebärdeten, die um den Leichnam des Feinds tanzten und sich grenzenlos am Unglück des Barbabianca weideten, hatten sie jetzt diesen Barbabianca oder Romeres, wie auch immer er hieß, vollkommen vergessen. Sie plauderten über Dichtung, lachten über eine Doppeldeutigkeit – ach, was heißt hier »Doppel«, der Sinn war ein einziger und glasklar – und konnten sich von einer Sekunde auf die nächste in die Haare kriegen oder sich umarmen, einfach so. Geradezu kindisch waren sie und hatten beileibe nichts mit dem Stamm zu tun, über den sich sein Landesgenosse, General Boglione, ausgelassen hatte: Wenn sie einmal böse waren, handelte es sich um eine vorübergehende und oberflächliche Bosheit, wie sie eher Kindern eigen ist. Er schloß die Augen und streckte die Beine aus; die Gefechtspause zeichnete ein glückliches Lächeln auf sein Gesicht. Doch er mußte die Augen gleich wieder aufklappen, als nämlich die Stimme von Bastiano, dem Kammerdiener des Marchese, ertönte, der auf der Schwelle der großen Tür zum Salon stand.
      »Wenn Euer Exzellenz belieben hinauszukommen, vom Aussichtsturm sieht man schon den Rauch.«
      »Was für einen Rauch denn?« wandte er sich an Bastiano.
      »Der Rauch des russischen Dampfers, nicht? Seit zwei Stunden sind wir schon hier und warten darauf«, erwiderte dieser.
      Wie ein Vogel im herrlich freien Flug aus dem Hinterhalt erlegt, schlug Lemonnier jämmerlich zu Boden. Alles erklärte sich also auf diese Weise. Die harmlos scheinende Einladung verfolgte einen ganz bestimmten Zweck: Das Kannibalenritual um Barbabianca wurde ohne die geringste Abweichung bedenkenlos fortgesetzt. All die Rederei, das Geschwätz über die Dichtkunst, das angenehme Beisammensein waren nur eine Art, die Zeit totzuschlagen, bis daß das erwartete Ereignis eintreten und zum Abschluß kommen würde. Er spürte, wie seine Zunge schwer wurde.
      Bei den Worten Bastianos hatten Padre Imbornone und der Marchese aufgehorcht.
    »Kommen Sie, Ingenieur?« fragte Simone Curtò di
    Baucina mit einem freundlichen Lächeln.
      Sie setzten sich in Bewegung, durchquerten das Arbeitszimmer des Marchese, kletterten die Wendeltreppe hinauf, die zum Turm führte, der Hausherr als Wegbereiter voran, dahinter kam Padre Imbornone, der bei jedem Heben des Fußes immer mehr wie ein Blasebalg pfiff, und zuletzt Lemonnier. Auf der Mitte der Treppe hielt Padre Imbornone keuchend inne – man glaubte sich inmitten der Feuerstube eines Eisenschmieds –, lehnte sich gegen die Wand und stützte sich mit der Hand aufs Geländer.
      »Mir fällt gerade ein anderes Gedicht von Micio ein«, sagte er. »Das kommt einerseits

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