Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
bitter gekämpft. Und verloren.
Ich habe es nicht gespürt, als sie starb. Kein Reißen. Kein Erdbeben. Kein Blitz. Nichts.
In seinen Armen beruhigte sich Luc.
»Manons Tagebuch. Ich sollte es dir von ihr geben, wenn du eines Tages doch kommst«, presste er mit dünner Stimme hervor. »Das hat sie sich gewünscht. Sie hat bis über ihren Tod hinaus gehofft.«
Zögernd ließen sie einander los.
Luc setzte sich auf den Diwan. Er langte zu dem Nachttisch und öffnete die Schublade.
Jean erkannte den Einband sofort. Darin hatte Manon auch geschrieben, als sie sich das erste Mal trafen, im Zug nach Paris. Als sie geweint hatte, weil sie ihren Süden verließ. Und oft auch nachts schrieb sie darin, wenn sie nicht schlafen konnte, nachdem sie Liebe gemacht hatten.
Luc stand auf, reichte Jean das Buch, und dieser griff danach, doch der kräftige Winzer hielt es noch für einen Moment fest.
»Und das soll ich dir von mir geben«, sagte er ruhig.
Jean hatte es kommen sehen – und er wusste, er durfte nicht ausweichen. Also schloss er nur die Augen.
Lucs Faust traf ihn zwischen Lippe und Kinn.
Nicht zu fest, aber fest genug, dass es Jean die Luft nahm, seinen Blick trübte und ihn an die Wand taumeln ließ.
Von irgendwoher hörte er Lucs entschuldigende Stimme.
»Glaub bitte nicht, es war dafür, weil du mit ihr geschlafen hast. Ich wusste, als ich sie heiraten wollte, dass ein Mann Manon nie alles sein wird.« Luc reichte Jean die Hand. »Es war vielmehr dafür, weil du nicht rechtzeitig zu ihr gekommen bist.«
Für einen Augenblick blendete alles übereinander.
Sein verbotenes, lebloses Zimmer in der Rue Montagnard.
Manons Sterbezimmer, warm und hell.
Lucs Hand in seiner.
Und auf einmal war diese Erinnerung wieder da.
Jean hatte sehr wohl etwas gespürt, als Manon starb.
In den Tagen vor Weihnachten, als er oft volltrunken war und dann fast einschlief. In diesen wirren Zuständen, da hatte er sie reden hören. Verwehte Worte, die er nicht verstand. »Tassentür«, »Buntstift«, »Südlicht« und »Rabe«.
Er stand dort, in Manons Zimmer, ihr Tagebuch in der Hand, und ahnte, dass er diese Worte darin finden würde.
In ihm war plötzlich eine große Ruhe, und in seinem Gesicht brannte der gute Schmerz des verdienten Schlags.
»Kannst du damit essen?«, fragte Luc verlegen und deutete auf Perdus Kinn. »Mila hat Zitronenhähnchen gemacht.«
Jean nickte.
Er fragte nicht mehr, warum Luc Manon einen Wein gewidmet hatte. Er verstand es jetzt.
Manons Reisetagebuch
Bonnieux, 24. 12. 1992
Maman hat die dreizehn Desserts gemacht. Verschiedene Nüsse, verschiedene Früchte, Rosinen, zweifarbiger Nougat, Ölkuchen, Butterkuchen mit Zimtmilch.
Victoria liegt in der Wiege und hat rosige Wangen und ganz neugierige Augen. Sie sieht aus wie ihr Vater.
Luc wirft mir nicht mehr vor, dass ich gehe und Victoria bleibt und nicht andersherum.
Sie wird ein Südlicht werden, ihr Leuchten groß.
Ich bitte Luc, Jean, falls er doch noch kommt, irgendwann, egal wann, dieses Buch zum Lesen zu geben. Für einen Abschiedsbrief, der alles erklärt, fehlt mir die Kraft.
Mein kleines Südlicht. Ich hatte nur achtundvierzig Tage mit Vicci, und doch träumte ich von Jahren, ich sah so viele Leben, die auf meine Tochter warten.
Maman schreibt für mich nun diese Worte, denn auch zum Halten des Stiftes fehlt mir die Kraft. Ich hab alles bis hierher aufgebraucht, um noch selbst die dreizehn Desserts zu essen und nicht vom Brot der Toten.
Es dauert lange, zu denken.
Die Wörter sind immer weniger geworden. Alle ausgezogen.
In die weite Welt. Lauter Buntstifte unter Bleistiften. Lauter Lichter im Dunkeln.
Sehr viel Liebe ist hier im Haus.
Alle lieben einander und auch mich. Alle sind tapfer und ganz verliebt in das Kind.
(Meine Tochter will ihre Tochter halten. Manon und Victoria liegen da zusammen, und im Kamin knistern die Zweige. Luc kommt und nimmt seine beiden Mädchen in den Arm. Manon hat mir bedeutet, dass sie noch etwas schreiben lassen möchte. Meine Hand mit dem Stift ist eiskalt. Mein Mann bringt mir warmen Weinbrand, aber meine Finger spüren die Wärme nicht.)
Liebe Victoria, Tochter, Schöne. Es war ganz leicht, mich für dich hinzugeben. So ist das, lach darüber, du wirst geliebt sein, immer.
Den Rest, Tochter, über mein Leben in Paris, lies und sei bedächtig mit dem Urteil.
(Manon hat Aussetzer, ich schreibe nur mehr mit, was sie flüstert. Sie zuckt zusammen, wenn irgendwo eine Tür geht. Sie erwartet ihn immer
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