Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
Organentnahme.
»Wetterfest«, hätte Jeans Mutter Lirabelle über Luc gesagt. »Es macht einen anderen Menschen aus dir, wenn du dich als Kind an offenen Feuern gewärmt hast statt an Fernwärme, wenn du auf Bäume geklettert bist, statt mit dem Helm auf dem Bürgersteig zu radeln, und wenn du rausgegangen bist, statt dich vor den Fernseher zu hocken.« Deshalb hatte sie Jean bei den bretonischen Verwandten in den Regen geschickt und ihm das Badewasser im Kaminkessel gewärmt. Nie wieder war ihm heißes Wasser danach so gut vorgekommen.
Wieso musste Jean beim Anblick von Luc an brodelnde bretonische Wasserkessel denken?
Weil Manons Mann genauso intensiv, lebendig und echt war.
Lucs aufrechte Schultern, seine arbeitsgewohnten Arme, seine Haltung, alles sprach: Ich knicke nicht ein.
Und dieser Mann betrachtete ihn mit seinen dunklen Augen, forschte Jeans Gesicht aus, besah seinen Körper, die Finger. Sie gaben sich nicht die Hand.
»Also?«, fragte Luc stattdessen von der Tür her. Eine tiefe, gelassene Stimme.
»Ich bin Jean Perdu. Ich bin der Mann, mit dem Ihre Frau Manon in Paris gelebt hatte. Bis … vor einundzwanzig Jahren. Und fünf Jahre lang.«
»Das weiß ich«, sagte Luc ruhig. »Sie hat es mir gesagt, als sie wusste, dass sie sterben wird.«
Die beiden Männer schauten sich an, und für einen irren Moment glaubte Perdu, dass sie einander umarmen würden. Weil nur der eine den Schmerz des anderen verstehen konnte.
»Ich bin hier, um um Verzeihung zu bitten.«
Über das Gesicht des Winzers huschte ein Lächeln.
»Wen?«
»Manon. Nur Manon. Als Ihr Ehemann … für Sie gibt es keine Möglichkeit, zu verzeihen, dass ich Ihre Frau geliebt habe. Und auch keine zu verzeihen, dass ich der andere war.«
Lucs Augen wurden schmal. Sehr aufmerksam sah er Perdu an.
Fragte er sich, ob Manon es gemocht hatte, diese Hände zu spüren? Fragte er sich, ob Jean fähig gewesen war, seine Frau so gut zu lieben, wie er es gekonnt hatte?
»Warum kommen Sie erst jetzt?«, fragte Luc langsam.
»Ich habe den Brief damals nicht gelesen.«
»Mein Gott«, sagte Luc überrascht. »Aber warum denn nicht, Mann?«
Das war der schwierigste Teil.
»Ich hatte erwartet, da stehe nur das drin, was Frauen eben so schreiben, wenn sie ihre Liebhaber satt sind«, sagte Perdu. »Mich zu verweigern war das Einzige, was mir damals noch meine Würde bewahrte.«
Die Worte fielen ihm schwer, so schwer.
Und jetzt schütte bitte endlich deinen Hass über mir aus.
Luc ließ sich Zeit. Er wanderte in dem Weinprobenzimmer hin und her. Endlich sprach er wieder. Diesmal zu Jeans Rücken.
»Das muss schlimm gewesen sein – als Sie den Brief dann doch lasen. Und merkten, dass Sie sich die ganze Zeit getäuscht hatten. Dass es eben nicht die üblichen Worte waren. ›Lass uns Freunde bleiben‹ und so ein Unsinn. Das hatten Sie erwartet, nicht wahr? ›Es liegt nicht an dir, sondern an mir … ich wünsche dir jemanden, der dich verdient …‹ Aber es war dann ganz anders.«
Mit diesem Einfühlungsvermögen hatte Jean nicht gerechnet.
Er verstand immer mehr, warum Manon Luc geheiratet hatte.
Und nicht ihn.
»Es war die Hölle«, gab er zu. Er wollte mehr dazu sagen, viel mehr. Aber es erstickte ihn.
Die Vorstellung, wie sich Manons Blick auf eine Tür heftete, die sich nie öffnete.
Er drehte sich nicht zu Luc um. Tränen der Scham brannten heiß in seinen Augen.
Da spürte Jean Lucs Hand auf seiner Schulter.
Der Mann drehte ihn zu sich. Sah ihm in die Augen, forschte und ließ Jean auch seinen Kummer sehen.
Sie standen nur noch einen Meter voneinander entfernt, während sie sich mit ihren Blicken Unaussprechbares sagten.
Jean sah Kummer und Zärtlichkeit, Wut und Verständnis. Er sah, dass sich Luc fragte, was sie nun tun sollten, er sah aber auch Mut, alles auszuhalten.
Ich wünschte, ich hätte Luc vorher gekannt.
Sie hätten miteinander trauern können. Nach dem Hass und nach der Eifersucht.
»Ich muss das jetzt fragen«, sagte Jean. »Es lässt mir keine Ruhe, seitdem ich sie gesehen habe. Ist … ist Victoria …«
»Sie ist unsere Tochter. Als Manon wieder nach Paris ging, war sie im dritten Monat, Victoria wurde im Frühling gezeugt. Manon wusste da schon, dass sie krank war, aber sie behielt es für sich. Sie entschied sich für das Kind und gegen die Krebstherapie, als die Ärzte ihr zusicherten, dass für das Baby eine Chance bestand.«
Jetzt bebte auch Lucs Stimme.
»Manon hat ihren sicheren Tod allein
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