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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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nicht schwimmen kann und Sie zuletzt in kurzen Hosen so ein Monstrum gefahren sind. Und ich denke daran, dass Sie die fünf Katzenfutterdosen nach dem Alphabet geordnet haben. Wahrscheinlich sind Sie irre. Mein Gott! Sie waren mal zwölf Jahre alt? Ein richtiger kleiner Junge? Unfassbar! Sie wirken, als ob Sie schon immer so gewesen sind.«
    »So?«
    »So erwachsen. So … kontrolliert. So total souverän.«
    Wenn der wüsste, was für ein Dilettant ich bin.
    »Ich hätt’s nicht bis zum Bahnhof geschafft. Ich hätte auf dem Weg zu viel Zeit zum Nachdenken gehabt, Monsieur Jordan. Und Gründe gefunden, warum es nicht gut ist, loszufahren. Dann hätte ich es nicht getan. Dann würde ich dort oben stehen« – Perdu deutete zu einer Seine-Brücke, von der aus ihnen Mädchen auf Hollandrädern zuwinkten – »und bleiben, wo ich immer war. Ich würde mich nicht aus meinem gewohnten Leben fortbewegen. Das ist zwar scheiße, aber sicher.«
    »Sie haben gerade scheiße gesagt.«
    »Ja, und?«
    »Super. Jetzt mache ich mir wegen der Abc-Sache in Ihrem Kühlschrank gleich viel weniger Sorgen.«
    Perdu griff nach dem Kaffee. Was würde sich Max Jordan erst für Sorgen machen, wenn er ahnte, dass die Frau, wegen der Jean Perdu auf so brachiale Weise die Taue gekappt hatte, bereits einundzwanzig Jahre tot war? Perdu stellte sich vor, wie er es Jordan sagte. Gleich. Wenn er nur wüsste, wie.
    »Und Sie?«, fragte er. »Was führt Sie hier raus, Monsieur?«
    »Ich will … eine Geschichte suchen«, erklärte Jordan stockend. »Weil, in mir … da ist nichts mehr. Ich will so lange nicht nach Hause zurück, bis ich sie gefunden habe. Eigentlich war ich nur am Quai, um mich zu verabschieden, und dann legten Sie ab … Darf ich mitfahren, bitte? Darf ich?«
    Er schaute Perdu so hoffnungsvoll an, dass der seine Absicht, Max Jordan am nächstgrößeren Hafen an Land zu setzen und ihm viel Glück zu wünschen, fürs Erste vertagte.
    Vor ihm die Welt, hinter ihm das ungeliebte Leben, fühlte er sich auf einmal wieder wie der Junge, der er – tatsächlich – einmal gewesen war. Auch wenn Max das von seiner jugendlichen Warte aus kaum glauben mochte.
    Er fühlte sich zum Beispiel wie mit zwölf. Als Jean selten einsam gewesen war, aber gern allein, oder mit Vijaya zusammen, dem dünnen Hänfling der indischen Mathematikerfamilie von nebenan. Als er noch Kind genug war, um an seine nächtlichen Träume als zweite, reale Welt und als Ort der Prüfung zu glauben. Ja, er hatte einmal geglaubt, dass es in Träumen Aufgaben gab, die, wenn er sie löste, ihn im wachen Leben eine Stufe weiterbrachten.
    »Finde den Weg aus dem Labyrinth! Mach, dass du fliegen kannst! Bezwinge den Höllenhund! Dann wird, wenn du wach bist, ein Wunsch wahr.«
    Damals war er fähig, an die Macht seiner Wünsche zu glauben. Selbstverständlich verbunden mit dem Angebot, auf etwas Geliebtes oder sehr Wichtiges zu verzichten.
    »Mach, dass sich meine Eltern beim Frühstück wieder ansehen! Ich gebe ein Auge dafür, das linke. Das rechte brauche ich noch zum Frachterlenken.«
    Ja, so hatte er gefleht, als er noch ein Junge war und nicht so … wie nannte es Jordan? So kontrolliert? Er hatte auch Briefe an Gott geschrieben und mit Blut aus seinem Daumen besiegelt. Und jetzt, mit kaum tausendjähriger Verspätung, stand er am Steuer eines gigantischen Schiffes und spürte erstmals wieder, dass er überhaupt noch Wünsche hatte.
    Perdu entschlüpfte ein »Ha!«, und er richtete sich etwas gerader auf.
    Jordan spielte an den Reglern des Funkgeräts herum, bis er den Funk der Navigationslotsen der VNF Seine gefunden hatte, die den Flussverkehr regelten.
    »… eine Wiederholung der Durchsage an die zwei Komiker, die den Champs-Élyseés-Hafen eingedieselt haben: Schöne Grüße vom Hafenmeister, steuerbord ist da, wo der Daumen links ist.«
    »Meinen die etwa uns?«, fragte Jordan.
    »Ach, was«, wiegelte Monsieur Perdu ab.
    Sie schauten sich an und grinsten schief.
    »Was wollten Sie denn werden, als Sie ein Junge waren, Monsieur … eh, Jordan?«
    »Ein Junge? Also quasi gestern?« Max lachte übermütig. Dann wurde er sehr leise.
    »Ich wollte ein Mann werden, den mein Vater ernst nimmt. Und Traumdeuter, was schon mal dagegensprach«, fügte er hinzu.
    Perdu räusperte sich. »Suchen Sie uns doch mal einen Weg nach Avignon, Monsieur. Suchen Sie einen schönen Weg durch die Kanäle nach Süden. Einen auf dem wir vielleicht … wichtige Träume haben.« Perdu deutete auf

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