Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
bringt. Ich habe sie vergangene Nacht in der Sommerküche draußen weinen hören vor Verzweiflung; sie ängstigt sich um mich.
Es heißt, in Paris herrscht in allem Siegzwang, und die Männer verführen die Frauen mit ihrer Kälte. Jede Frau will einen Mann zähmen und seine Eiskruste in Leidenschaft verwandeln … jede Frau. Und die aus dem Süden besonders. Das sagt Daphne, und ich meine, sie spinnt. Diäten wirken halluzinatorisch, eindeutig.
Papa ist ganz der beherrschte Provenzale. Was sollten die in der Stadt einer wie dir schon zu bieten haben?, so seine Worte. Ich liebe ihn, wenn er seine humanistischen fünf Minuten hat und die Provence als Wiege der gesamten Nationalkultur sieht. Er murmelt seine okzitanischen Phrasen und findet es ganz wunderbar, dass noch der letzte Olivenbauer und ungewaschene Tomatenzüchter die Sprache der Künstler, Philosophen, Musiker und Jugendlichen spricht, seit vierhundert Jahren. Nicht wie Pariser, die Kreativität und Weltliebe nur ihrem Bildungsbürgertum zutrauen …
Ach, Papa! Platon mit dem Ackerspaten und so intolerant mit den Intoleranten.
Die Würze seines Geruchs wird mir fehlen, die Wärme seiner Brust. Und seine Stimme, das Rollen des Gewitters am Horizont.
Ich weiß, dass mir auch die Höhen fehlen werden, das Blau, der Mistral, der die Weinberge fegt und wäscht … Ich habe mir ein Säckchen Erde und ein Bündel Kräuter mitgenommen. Außerdem einen Nektarinenkern, den ich blank gelutscht habe, und einen Kieselstein, den ich, ganz nach Art von Pagnol, unter meine Zunge lege, wenn ich Durst habe nach den Quellen meiner Heimat.
Ob mir Luc fehlen wird? Er war immer da, er fehlte mir noch nie. Es würde mir gefallen, mich nach ihm zu sehnen. Ich kenne das Ziehen nicht, von dem Cousine Ich-bin-so-dick-Daphne, bedeutsam Worte auslassend, sprach: »Es ist, als ob ein Mann dir seinen Anker in die Brust, in den Bauch, zwischen die Beine schlägt; und wenn er nicht da ist, dann ziehen und zerren die Ketten.« Es hörte sich grausam an, und doch lächelte sie dabei.
Wie es wohl ist, einen Mann so zu wollen? Und schlage ich diese Widerhaken auch in ihn, oder vergisst ein Mann leichter? Hat Daphne das in einem dieser schrecklichen Romane gelesen?
Ich weiß alles über Männer, aber nichts über den Mann. Wie ist ein Mann, wenn er mit einer Frau ist? Weiß er mit zwanzig, wie er sie mit sechzig lieben will – weil er doch auch in Bezug auf seine Karriere genau weiß, wie er mit sechzig denken, handeln und leben will?
Ich werde nach einem Jahr zurückkehren, Luc und ich werden Hochzeit halten, wie die Vögel. Und dann werden wir Wein und Kinder machen, Jahr um Jahr.
Ich bin frei für das Jahr und auch für die Zukunft. Luc wird nicht fragen, wenn ich mal spät heimkomme oder wenn ich, auch in den Jahren danach, allein nach Paris oder sonstwohin fahre. Das schenkte er mir zur Verlobung: eine Ehe in Freiheit. Er ist so.
Papa würde ihn nicht verstehen – Freiheit von der Treue, aus Liebe? »Der Regen reicht auch nicht für das ganze Land«, würde er sagen; die Liebe ist der Regen, der Mann das Land. Und wir Frauen, was sind wir? »Ihr bestellt den Mann, er blüht unter euren Händen, das ist die Macht der Frauen.«
Ich weiß noch nicht, ob ich Lucs Geschenk des Regens haben will. Es ist groß, vielleicht bin ich dafür zu klein.
Und ob ich es ihm zurückgeben will? Luc sagte, darauf beharre er nicht und das sei auch nicht die Bedingung.
Ich bin die Tochter eines großen, starken Baumes. Mein Holz wird zum Schiff, aber es ist ankerlos, flaggenlos, ich fahre hinaus und suche die Schatten und das Licht; ich trinke den Wind und vergesse alle Häfen. Verdammt zur Freiheit, ob geschenkt oder genommen, im Zweifel immer allein ertragen.
Oh, und eines sollte ich noch erwähnen, bevor sich meine innere Jeanne d’Arc wieder das Hemd herunterreißt und weiter Verse stöhnt: Ich habe tatsächlich den Mann kennengelernt, der mich weinen und in mein Reisetagebuch hat schreiben sehen. In dem Zugabteil. Er sah meine Tränen, und ich versteckte sie und das babyhafte »Wiederhaben-wollen«, das mich befällt, kaum dass ich aus meinem kleinen Tal herauskomme …
Er fragte, ob ich sehr schlimmes Heimweh habe.
»Ich könnte doch auch Liebeskummer haben?«, fragte ich ihn.
»Heimweh ist Liebeskummer. Nur schlimmer.«
Er ist groß für einen Franzosen. Ein Buchhändler, seine Zähne sind weiß und freundlich, die Augen sind grün, kräutergrün. Es ist ein wenig wie die Farbe der Zeder vor meinem
Weitere Kostenlose Bücher