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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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zweimal verraten. Dessen war er sich so sicher gewesen. Auf diese Schlussfolgerung hatte er sein Leben gebaut.
    Ihm war kotzübel.
    Jetzt musste er feststellen, dass er es war, der sie verraten hatte. Manon hatte vergeblich gewartet, dass er kam, zu ihr, während sie …
    Nein. Bitte, bitte – nein.
    Alles hatte er falsch gemacht.
    Der Brief, das PS – es hatte für sie so aussehen müssen, als reichten seine Gefühle nicht aus. Als hätte Jean Perdu Manon nie genug geliebt, um ihr diesen wilden Wunsch – ihren letzten, innigen, so inbrünstigen – zu erfüllen.
    Und mit diesem Begreifen wuchs seine Scham ins Unendliche.
    Er sah sie vor sich, in den Stunden und Stunden der Wochen nach dem Brief. Wie sie wartete, dass ein Auto vor ihrem Haus hielt und Jean an ihre Tür klopfte.
    Der Sommer ging, der Herbst malte Rauhreif auf die herabgefallenen Blätter, der Winter fegte die Bäume blank.
    Doch er war nicht gekommen.
    Er schlug die Hände vors Gesicht, hätte sich am liebsten selbst geschlagen.
    Und jetzt ist es zu spät.
    Monsieur Perdu faltete mit zügellos bebenden Fingern den brüchigen Brief zusammen, der auf wundersame Weise immer noch nach ihr roch, schob ihn zurück in das Kuvert. Dann knöpfte er mit verbissener Konzentration sein Hemd zu, suchte fahrig seine Schuhe. Er ordnete sein Haar im Spiegel der Nachtfenster.
    Spring doch, du widerwärtiger Idiot. Das wäre eine Lösung.
    Als er aufblickte, sah er Catherine im Türrahmen lehnen.
    »Sie hat mich …«, begann er, deutete auf den Brief. »Ich hab sie …« Er fand die Wörter nicht. »Aber dabei war alles ganz anders.«
    Wie lautete nur dieses Wort dafür?
    »Geliebt?«, fragte Catherine nach einer Weile.
    Er nickte.
    Genau. Das war das Wort.
    »Das ist doch gut.«
    »Es ist zu spät«, sagte er.
    Es zerstört alles. Es zerstört mich.
    »Sie hat mich wohl …«
    Sag’s doch.
    »… aus Liebe verlassen. Ja, aus Liebe. Verlassen.«
    »Werdet ihr euch wiedersehen?«, fragte Catherine.
    »Nein. Sie ist tot. Manon ist schon lange tot.«
    Er schloss die Augen, um Catherine nicht anzusehen, um nicht zu sehen, wie er sie gleich verletzte.
    »Und ich habe sie geliebt. So sehr, dass ich aufhörte, zu leben, als sie ging. Sie starb, aber ich hatte nur im Kopf, wie gemein sie zu mir gewesen war. Ich war ein dummer Mann. Und, Catherine, verzeih mir, ich bin es noch. Ich kann nicht mal richtig darüber sprechen. Ich muss gehen, bevor ich dir noch mehr weh tue, ja?«
    »Natürlich kannst du gehen. Und du tust mir nicht weh. Das Leben ist eben so, und wir sind nicht mehr vierzehn. Man wird merkwürdig, wenn man niemanden mehr hat, den man lieben kann. Und in jedem neuen Gefühl schwimmt das alte erst einmal für eine Weile mit. Wir Menschen sind so«, flüsterte Catherine, ruhig und überlegt.
    Sie sah zu dem Küchentisch, Auslöser des Ganzen.
    »Ich wünschte, mein Mann hätte mich aus Liebe verlassen. Es ist wohl die schönste Art, verlassen zu werden.«
    Perdu schritt steif zu Catherine, umarmte sie ungelenk; doch es fühlte sich furchtbar fremd an.

13
    E r machte einhundert Liegestütze, während der Herdkocher blubberte. Nach dem ersten Schluck Kaffee zwang er sich zu zweihundert Sit-ups, bis seine Muskeln zitterten.
    Er duschte kalt und heiß, rasierte sich und schnitt sich dabei häufig und tief. Er wartete, bis das Bluten nachließ, bügelte ein weißes Hemd und band eine Krawatte um. Er steckte ein paar Geldscheine in die Hosentasche und legte sein Jackett über den Arm.
    Beim Rausgehen sah er nicht zu der Tür von Catherine.
    Sein Körper sehnte sich so sehr nach ihrer Umarmung.
    Und dann? Ich tröste mich, sie tröstet sich, am Ende sind wir wie zwei benutzte Taschentücher.
    Er nahm die Buchbestellungen, die seine Nachbarn ihm in den Briefkasten gesteckt hatten, heraus; er grüßte Thierry, der die Tische von der Nachtfeuchte frei wischte.
    Er aß sein Käse-Omelette, ohne es richtig wahrzunehmen oder gar zu schmecken, weil er verbissen in der Morgenzeitung las.
    »Und?«, fragte Thierry. Er legte eine Hand auf Perdus Schulter.
    Diese Geste war so leicht, so freundschaftlich – und Monsieur Perdu musste sich zwingen, Thierry nicht zu schütteln.
    Wie ist sie gestorben? Woran? Tat es weh, hat sie nach mir gerufen? Hat sie jeden Tag auf die Tür geschaut? Warum war ich so stolz?
    Warum musste es auf diese Weise geschehen? Welche Strafe habe ich verdient … sollte ich mich am besten umbringen? Einmal das Richtige tun?
    Perdu fixierte die Buchkritiken.

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