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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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hatte Perdu ihm damals bei einem ihrer nächtlichen Telefonate gesagt.
    »No, Sir. Ich suche die Mechanik. Es ist alles Aktion und Reaktion. Altern, Angst, Sex, das regeln alles deine Empfindungsfähigkeiten. Du trinkst einen Kaffee, und ich kann dir erklären, warum er dir schmeckt. Du verliebst dich, und ich sage dir, warum dein Hirn sich so benimmt wie das eines Zwangsneurotikers«, hatte Vijaya Perdu erklärt.
    Kiraii hatte dem schüchternen Biologen einen Heiratsantrag gemacht, und Perdus Freund hatte ja gemurmelt, von seinem Glück zutiefst schockiert. Sicher hatte er an seine Rezeptoren gedacht, die wie eine Discokugel rotierten. Er ging mit der schwangeren Kiraii nach Amerika und schickte Perdu regelmäßig Bilder seiner Zwillingssöhne – erst Abzüge, dann als E-Mail-Anhänge. Es waren sportliche, offen und verschmitzt in die Kamera lächelnde Männer, die ihrer Mutter Kiraii ähnelten. Sie waren so alt wie Max.
    Wie anders Viyaja diese zwanzig Jahre verbracht hatte!
    Max, Schriftsteller, Ohrenschützerträger, Traumdeuter in spe. Mein zwangsverordneter »Sohn«. Bin ich so alt, dass ich väterlich wirke? Und … was wäre daran so schlimm?
    Monsieur Perdu spürte hier, mitten in der Flussmarina, heftige Sehnsucht nach einer Familie. Nach jemandem, der sich gern an ihn erinnern würde. Nach einer Möglichkeit, zurückzugehen, bis zu jenem Augenblick, als er den Brief nicht gelesen hatte.
    Und du hast Manon genau das vorenthalten, wonach du dich sehnst – du hast dich geweigert, dich an sie zu erinnern. Ihren Namen zu sagen. Ihrer zu gedenken, jeden Tag, in Zuneigung und in Liebe. Stattdessen hast du sie verbannt. Pfui, Jean Perdu. Pfui, dass du die Angst gewählt hast.
    »Angst verändert deinen Körper wie ein ungeschickter Bildhauer einen perfekten Stein«, hörte Perdu Vijayas Stimme in sich. »Nur, dass du von innen behauen wirst und es niemand sieht, wie viele Splitter und Schichten dir abgeschlagen werden. Du wirst innerlich immer dünner und instabiler, bis dich sogar das kleinste Gefühl umwirft. Eine Umarmung, und du denkst, du zerbrichst und bist verloren.«
    Wenn Jordan mal einen väterlichen Rat brauchte, würde Perdu ihm sagen: »Hör niemals auf die Angst! Angst macht dumm.«

19
    U nd jetzt?«, fragte Max Jordan nach ihrer Erkundungstour.
    Der kleine Lebensmittelladen der Marina und das Crêpes-Bistro am Campingplatz nebenan hatten sich geweigert, Bücher als Zahlungsmittel anzunehmen. Schließlich würden ihre Lieferanten arbeiten und nicht lesen.
    »Weiße Bohnen mit Herz und Huhn«, schlug Perdu vor.
    »Bitte nicht. Ich könnte weiße Bohnen nur mögen, wenn Sie sehr aufwendige Gehirnoperationen an mir vornähmen.«
    Max ließ seinen Blick über die Marina schweifen. Überall saßen Leute auf den Decks, aßen, tranken und unterhielten sich munter.
    »Wir werden uns wohl gesellschaftlich einbringen müssen«, beschloss er. »Ich lade uns irgendwo ein. Vielleicht bei dem netten britischen Gentleman?«
    »Auf keinen Fall! Das ist Schnorrerei. Das ist –«
    Aber Max strebte schon auf ein ganz bestimmtes Hausboot zu.
    »Ahoi, die Damen!«, rief er. »Leider sind unsere Vorräte über Bord gegangen und von Katzenwelsen gefressen worden. Haben Sie zufällig noch ein Eckchen Käse für zwei einsame Wanderer?«
    Perdu wollte vor Scham schier im Boden versinken. Man konnte doch nicht einfach so Frauen ansprechen! Erst recht nicht, wenn man Hilfe brauchte. Das war nicht … richtig.
    »Jordan«, zischte er und hielt den jungen Mann am Ärmel seines blauen Hemdes fest, »ich bitte Sie, das ist mir unangenehm. Wir können die Damen doch nicht einfach stören.«
    Max schaute ihn nun genauso an, wie all die anderen immer Jean und Vijaya angestarrt hatten, als sie noch Jugendliche gewesen waren. Die beiden hatten sich in Gegenwart von Büchern so wohl gefühlt wie zwei Äpfel am Baum. Aber in Gegenwart von Menschen, insbesondere Mädchen und Frauen, waren sie als Teenager schüchtern gewesen bis zur Sprachlosigkeit. Partys waren eine Tortur. Und Mädchen anzusprechen kam einer Harakiri-Entleibung gleich.
    »Monsieur Perdu, wir wollen etwas essen und revanchieren uns als amüsante Gesellschafter und mit einem harmlosen Flirt.«
    Er forschte in Perdus Gesicht. »Sie erinnern sich, was das ist? Oder steht das auch in einem Buch, wo es Sie nicht belästigen kann?« Er grinste.
    Jean antwortete nicht. Für junge Männer schien es undenkbar zu sein, dass man an den Frauen verzweifeln konnte. Um genau zu

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