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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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komm«, sagte sie dann zu Jean.
    Es war gut, dass er nicht allein war bei der Wiederbegegnung mit dieser Musik, die so viele Erinnerungen gebar.
    Denn es machte ihn immer noch fassungslos, dass Manon fort war, während die Lieder, die Bücher, das Leben einfach weiterexistierten.
    Wie konnten sie nur.
    Wie konnte das alles nur einfach … weitergehen!
    Wie sehr er sich doch fürchtete vor dem Tod. Und vor dem Leben. Vor all den Tagen ohne Manon, die noch vor ihm lagen.
    Er sah bei jedem Lied Manon gehen und liegen und lesen, tanzen für sich, tanzen für ihn. Er sah sie schlafen und träumen und ihm den Lieblingskäse vom Teller ziehen.
    »Wolltest du deswegen dein restliches Leben ohne Musik verbringen? Aber Jean! Du hast Musik so geliebt. Du hast gesungen, für mich, wenn ich Angst hatte, einzuschlafen und Zeit mit dir zu versäumen. Du hast Lieder gedichtet, auf meine Finger und Zehen und auf meine Nase. Du bist Musik, Jean, durch und durch – wir konntest du dich nur so töten?«
    Ja, wie wohl. Übung, natürlich.
    Jean spürte den streichelnden Wind, hörte das Lachen der Frauen, er hatte einen leichten Schwips – und war erfüllt von einer sprachlosen Dankbarkeit, dass Ida ihn hielt.
    Manon hat mich geliebt. Und diese Sterne, dort oben, haben uns zusammen gesehen.

20
    E r träumte, wach zu sein.
    Er war auf dem Bücherschiff, auf dem sich die Dinge aber ständig veränderten: Das Steuerrad zerbrach, die Fenster beschlugen, die Ruder versagten. Die Luft so schwer, als ob er durch Pudding watete. Und wieder verirrte sich Perdu in dem Labyrinth aus Wassertunneln. Das Boot ächzte und barst.
    Manon war neben ihm.
    »Aber du bist doch tot«, stöhnte er.
    »Bin ich das wirklich?«, fragte sie. »Wie schade.«
    Das Schiff brach auseinander, und er stürzte ins Wasser.
    »Manon!«, schrie er. Sie sah ihm zu, wie er gegen den Sog ankämpfte, gegen einen Trichter, der sich in dem schwarzen Wasser gebildet hatte. Sie sah ihm zu. Reichte ihm nicht die Hand. Sah einfach nur zu, wie er ertrank.
    Er sank und sank.
    Aber er wachte nicht auf.
    Perdu atmete ergeben ein und wieder aus – und ein und aus.
    Ich kann unter Wasser atmen!
    Dann berührte er den Grund.
    So erwachte Monsieur Perdu. Er lag auf der Seite und sah einen Lichtkringel über das weiß-rote Fell von Lindgren tanzen. Die Katze lag zwischen seinen Füßen.
    Sie erhob sich, streckte sich und spazierte dann schnurrend dicht vor Jeans Gesicht, um ihn mit ihren Barthaaren zu kitzeln. »Na?«, schien ihr Blick zu fragen, »was habe ich dir gesagt?« Ihr Schnurren war zart wie das entfernte Raunen eines Schiffsmotors.
    Er erinnerte sich, schon einmal mit solch einer etwas ängstlichen Verwunderung erwacht zu sein. Als Junge, als er in einem Traum das erste Mal geflogen war. Er war von einem Dach gesprungen und in einen Schlossinnenhof gesegelt, mit ausgebreiteten Armen. Und er hatte verstanden, dass er springen musste, um fliegen zu lernen.
    Er kletterte an Deck. Über dem Fluss schwebte spinnwebweißer Dunst, und über den nahen Wiesen dampfte es. Das Licht verriet, dass es noch jung war und der Tag eben erst geboren. Er genoss es, wie viel von dem Himmel er sehen konnte. Und wie viele Farben ringsum waren. Der weiße Nebel. Die grauen Tupfer. Zartes Rosa, milchiges Orange.
    Auf den Schiffen in der Marina herrschte die Stille des Schlafes. Auch drüben, auf der Baluu, war alles ruhig.
    Jean Perdu sah leise nach Max. Der Schriftsteller hatte sich ein Lager zwischen Büchern bereitet, auf einem der Lesesofas in der Abteilung, die Perdu »Wie man ein Mensch wird« getauft hatte. Dort stand auch das Buch der Scheidungstherapeutin Sophie Marcelline, einer Kollegin von seinem Freitagskunden, dem Therapeuten Eric Lanson. Sophie riet bei Liebeskummer, sich für jedes gemeinsam verbrachte Jahr mindestens einen Trauermonat zu nehmen. Bei Freundschaften, die zu Bruch gingen, zwei Monate pro Freundschaftsjahr. Und für jene, die für immer gingen, für die Toten, »nehmen Sie bitte gleich Ihr ganzes Leben. Denn die Toten, die wir einst liebten, lieben wir für immer. Ihr Fehlen begleitet uns bis zu unserem letzten Tag.«
    Neben dem schlafenden Max – zusammengerollt wie ein Junge, die Knie an die Brust gezogen, der Mund zu einem »Aber wieso das denn?«-Schmollen gespitzt – lag Sanarys Südlichter.
    Perdu nahm das schmale Buch hoch. Max hatte mit Bleistift Sätze unterstrichen, Fragen danebengeschrieben; er hatte das Buch gelesen, wie ein Buch gelesen werden

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