Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
Max.
»Ja, genau. Wie sonst?«
Max blies die Backen auf. »Also, normale Leute schreiben eine E-Mail«, sagte er.
Jean Perdu musste an sich halten, um nicht etwas zu erwidern, was sich sehr nach »früher hatten wir gar nichts, und trotzdem war alles besser« anhörte.
In Cepoy fanden sie statt eines Hafens nur zwei große Eisenringe im Gras, zwischen denen sie dann die Leinen der Literarischen Apotheke stramm zogen.
Wenig später schickte der Besitzer der Jugendherberge am Fluss – ein sonnenverbrannter Mann, mit einer roten Wulst im Nacken – sie zum alten Pfarrhaus. Dort wohnte P. D. Olson.
Auf ihr Klopfen öffnete eine Frau, die direkt aus einem Gemälde Pieter Bruegels entsprungen sein konnte. Flächiges Gesicht, Haare wie grober Flachs auf der Spindel, weißer Spitzenkragen auf dem grauen Hauskleid. Sie sagte weder »Guten Tag« noch »Was wollen Sie?« oder gar »Wir kaufen nichts« – sie öffnete und wartete schweigend. Ein Schweigen, so kraftvoll wie ein Fels.
» Bonjour, Madame. Wir möchten zu Monsieur Olson«, sagte Perdu nach einer Weile.
»Wir sind nicht angemeldet«, ergänzte Max.
»Wir kommen mit dem Boot, aus Paris. Leider haben wir kein Telefon.«
»Und auch kein Geld.«
Perdu stupste Max in die Seite. »Aber deswegen sind wir nicht hier.«
»Ist er denn überhaupt da?«
»Ich bin Buchhändler, wir haben uns mal auf einer Messe getroffen. In Frankfurt, neunzehnhundertfünfundachtzig.«
»Ich bin Traumdeuter. Und Autor. Max Jordan, hallo. Haben Sie zufällig einen Rest Eintopf von gestern? Wir haben nur noch eine Dose weiße Bohnen und Brekkies an Bord.«
»Sie können ihr so viel beichten, wie Sie wollen, meine Herren, es gibt keine Absolution und keinen Eintopf«, ließ sich eine Stimme hören. »Margareta ist taub, seit sich ihr Verlobter von einem Kirchturm gestürzt hat. Sie wollte ihn retten und ist in das Mittagsgeläut geraten. Sie liest nur bei Menschen, die sie kennt, von den Lippen ab. Verdammte Kirche! Bringt denen Unglück, die noch hoffen.«
Da stand der so berüchtigte Amerikakritiker P. D. Olson, ein zu klein geratener Wikinger in Bauerncord, Zimmermannshemd und gestreifter Kellnerweste.
»Monsieur Olson, entschuldigen Sie bitte, dass wir Sie einfach überfallen, aber wir haben eine dringende Frage, die …«
»Ja, ja. Sicher. In Paris ist alles dringend. Hier draußen gilt das nicht, meine Herren. Hier glättet sich die Zeit auf ihr Maß. Hier haben die Feinde der Menschheit keine Chance. Wir trinken jetzt erst einmal etwas und lernen uns kennen«, forderte er seine beiden Besucher auf.
»Feinde der Menschheit?«, formte Max mit den Lippen nach. Ihm war anzusehen, dass er sich sorgte, sie könnten es mit einem Verrückten zu tun haben.
»Man sagt, Sie sind eine Legende«, versuchte er sich dennoch an Konversation, nachdem Olson einen Hut von der Garderobe genommen hatte und sie neben ihm in Richtung Bar Tabac stiefelten.
»Nennen Sie mich nicht Legende, junger Mann, das hört sich an wie Leiche.«
Max schwieg, und Jean Perdu beschloss, diesem Beispiel zu folgen.
Während Olson vor ihnen her durchs Dorf ging, mit Schritten, die einen überstandenen leichten Schlaganfall verrieten, sagte er: »Schauen Sie sich mal um! Hier kämpfen die Leute seit Jahrhunderten um ihre Heimat. Da, sehen Sie, wie die Bäume gesetzt sind? Wie die Dächer gedeckt? Und wie weit ab die großen Straßen um das Dorf herumführen? Das ist alles Strategie. Auf Jahrhunderte gedacht. Hier denkt keiner an jetzt.«
Er grüßte einen Mann, der in einem knatternden Renault an ihnen vorbeifuhr, auf dem Beifahrersitz eine Ziege.
»Hier arbeiten und denken sie für die Zukunft. Immer für die, die nach ihnen kommen. Und die machen es genauso. Erst wenn eine Generation aufhört, an die folgende zu denken, und alles jetzt verändern will, wird dieses Land zerstört.«
Sie waren an der Bar Tabac angelangt. Drinnen über dem Tresen lief im Fernseher ein Pferderennen. Olson bestellte drei kleine Gläser Rotwein.
»Wetten, Wald und etwas Wein. Was will ein Mann mehr?«, sagte er wohlig.
»Also, wir hätten da eine Frage …«, begann Max.
»Nur die Ruhe, mein Junge«, sagte Olson. »Du riechst nach Duftsäckchen und siehst mit deinen Ohrenschützern aus wie ein DJ. Aber ich kenne dich, du hast was geschrieben. Gefährliche Wahrheiten. Nicht schlecht für den Anfang.« Er stieß mit Jordan an.
Max glühte vor Stolz. Perdu bemerkte einen Stich der Eifersucht.
»Und Sie? Sie sind der
Weitere Kostenlose Bücher