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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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schweigen. Ich muss es mir schwermachen, nicht anderen, so sind die Gesetze für Gefallene.
Ich habe nicht ein einziges Mal Jeans Namen erwähnt. Ich sorge mich, dass an der Art, wie ich ihn aussprechen würde, Maman, Papa oder Luc mich sofort durchschauten.
Vielleicht hätten sie, jeder auf seine Art, Verständnis. Maman, weil sie die Sehnsucht der Frauen kennt. Sie ist in uns allen, schon als kleines Mädchen, wenn wir kaum über den Tisch in der Ecke der Küche schauen können und mit geduldigen Stofftieren und weisen Pferden reden.
Papa, weil er die Lust des Tieres im Menschen kennt. Er würde das Animalische verstehen, das Nahrhafte, er würde womöglich sogar eine biologisch verankerte Triebhaftigkeit erkennen – Kartoffelbrunftzeit. (Ihn werde ich um Hilfe anflehen, wenn ich nicht weiterweiß. Oder ein Mamapapa, wie es Sanary schrieb, den mir Jean vorlas.)
Luc hätte Verständnis, weil er mich kennt. Weil er sich entschieden hat. Er ist von großer Entscheidungstreue: Was gilt, das gilt, auch wenn es weh tut oder sich später als falsch erweist.
Aber was ist, wenn er nach dreißig Jahren zugibt, wie sehr ich ihn verwundet habe, als ich nicht schweigen konnte?
Ich kenne meinen künftigen Mann – er würde bittere Stunden und Nächte haben. Er würde mich ansehen und den Fremden hinter mir in mir sehen. Er würde mit mir schlafen und sich fragen: Denkt sie an ihn? Ist es gut, ist es besser mit ihm? Er würde sich bei jedem Fest auf den Dörfern und jedem Feuerwehrumzug zum vierzehnten Juli, bei dem ich mit einem Mann rede, fragen: Ist er der Nächste? Wann reicht es ihr denn endlich?
All das würde er mit sich allein abmachen und mir mit keinem Wort einen Vorwurf. Wie sagte er: »Wir haben nur dieses Leben. Ich will meines mit dir erleben, dich aber bei deinem nicht stören.«
Ich muss auch für Luc schweigen.
Und für mich. Ich will Jean für mich.
Ich hasse es, das alles zu wollen – alles ist mehr, als ich je ertragen konnte …
Oh, verfluchte Freiheit, du bist immer noch größer als ich!
Sie verlangt, dass ich mich in Frage stelle, schäme und doch so stolz bin, das Leben mit allem zu leben, was ich begehre.
Ich werde es so sehr genießen, mich an alles zu erinnern, was wir erlebten, wenn ich alt bin und mich nicht mehr zu den Füßen bücken kann!
Diese Nächte, als wir die Sterne gesucht haben und in Buoux im Fort lagen. Diese Wochen, als wir in der Camargue verwilderten. Ach, und diese herrlichen Abende, in denen Jean mich in das Leben mit Büchern einweiht, wir still und nackt und mit Castor auf dem Diwan liegen und Jean meinen Po als Lesepult nimmt. Ich wusste nicht, dass es so unendlich viele Gedanken, Einsichten und Wunderlichkeiten gibt. Es müsste Pflicht sein, dass die Regierenden der Welt Bücherführerscheine machen. Erst wenn sie fünf-, nein, besser zehntausend Bücher gelesen haben, sind sie annähernd in der Lage, die Menschheit und ihre Verhaltensweisen zu verstehen. Ich fühlte mich oft besser, nicht mehr so … böse, falsch und untreu, wenn mir Jean Dinge vorlas, in denen gute Menschen aus Liebe oder aus Not oder Lebenshunger ungute Dinge tun.
»Dachtest du, du wärst die Einzige, Manon?«, fragte er – und, ja, genauso scheußlich fühlt es sich an. Als sei ich die Einzige, die es nicht schafft, bescheiden zu sein.
Oft, wenn wir mit der Liebe aufhören und noch nicht wieder damit anfangen, erzählt mir Jean von einem Buch, das er gelesen hat, lesen will oder von dem er möchte, dass ich es lese. Er nennt Bücher Freiheiten. Und Heimaten, das seien sie auch. Sie bewahren all die guten Wörter auf, die wir so selten benutzen. Milde. Güte. Widerspruch. Nachsicht.
Er weiß so viel, er ist ein Mann, der so selbstlos lieben kann. Er lebt, wenn er liebt. Wenn er geliebt wird, wird er unsicher. Fühlt er sich selbst deshalb so ungeschickt?
Er weiß gar nicht, wo was in seinem Körper wohnt! Die Trauer, die Angst, das Lachen – wo nur? Ich drückte ihm meine Faust in den Magen: »Hier, das Lampenfieber?«, ich pustete unter seinen Nabel: »Dort, das Mannsein?«, ich legte meine Finger um seinen Hals: »Hier, die Tränen?«
Sein Körper: gefroren, paralysiert.
An einem Abend gingen wir tanzen. Tango Argentino.
Desaster! Verlegen schob mich Jean ein bisschen hierhin, ein bisschen dorthin, in den Schrittfolgen aus der Tanzschule und nur mit den Händen. Er selbst? Anwesend, aber nicht Herr seiner Hülle.
Nein, das konnte doch nicht sein, nicht er, nicht dieser Mann! Er war anders als die

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