Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
nach Berührung, nach Körper, Nacktheit und Wärme unter einer gemeinsamen Decke. Nach Freundschaft, nach Heimat, nach einem Ort, wo er bleiben und satt sein konnte. Gehörte sie Manon? Oder Catherine? Er schämte sich, dass sie beide in ihm wogten. Und doch: Es hatte ihm so gut getan, mit Catherine zusammen zu sein. Sollte er sich es verbieten, war das unrecht?
Ich habe nie wieder jemanden brauchen wollen … ich Feigling.
Monsieur Perdu radelte zurück, flankiert von Bussarden und Kleibern, die hoch in der Luft standen und auf den Böen über den Weizenfeldern balancierten. Er spürte den Fahrtwind durch sein Oberhemd.
Er hatte das Gefühl, als ein anderer zum Schiff zurückzukehren als jener, der vor einer Stunde aufgebrochen war.
Er hängte eine Tüte mit frischen Croissants, einem Sträußlein roten Feldmohns und drei Ausgaben von Die Nacht, die Max vor dem Schlafengehen noch ausführlich signiert hatte, an den Lenker von Idas Rad.
Dann bereitete er in seiner Kombüse mit der Presskanne Kaffee zu, fütterte die Katzen, kontrollierte die Luftfeuchtigkeit in den Bücherräumen (ausreichend), den Ölstand (fast bedenklich) und machte Lulu klar zum Ablegen.
Als das Bücherschiff hinaus auf den unberührten Fluss glitt, sah Perdu Ida aus dem Achterdeck der Baluu kommen. Er hob die Hand, bis er um eine Schleife bog. Er wünschte Ida von Herzen, dass sie eines Tages eine größere Liebe fand, die den Verlust ihrer kleinen ausglich.
Ruhig steuerte er in den Morgen hinein. Die Kühle löste sich auf und wurde zu seidig warmer Sommerluft.
»Wussten Sie, dass Bram Stoker seinen Dracula geträumt hat?«, fragte Jean Perdu munter, als Max eine Stunde später dankbar nach einem Kaffee griff.
»Geträumt? Dracula? Wo sind wir, in Transsylvanien?«
»Auf dem Canal de Loing Richtung Canal de Briare. Wir fahren die Bourbonnais-Route, die Sie uns ausgesucht haben. Darauf kommen wir bis zum Mittelmeer.« Perdu nahm einen Schluck Kaffee. »Und es war Krabbensalat. Stoker hat verdorbenen Krabbensalat gegessen, sich die halbe Nacht mit Vergiftungserscheinungen geplagt und dabei zum ersten Mal von dem Herrn der Vampire geträumt. Das beendete sein kreatives Tief.«
»Echt? Ich hab keinen Bestseller geträumt«, murmelte Max, stippte sein Croissant hungrig in den Kaffee und achtete beim Essen darauf, dass kein Krümelchen verloren ging. »Ich wollte in meinem Buch lesen. Aber die Buchstaben rieselten von den Seiten.« Dann wurde er lebhafter. »Glauben Sie, wenn ich mir den Magen verderbe, träume ich eine Geschichte?«
»Wer weiß?«
»Don Quijote war auch ein Alptraum, bevor es ein Klassiker wurde. Haben Sie denn was Brauchbares geträumt?«
»Ich konnte unter Wasser atmen.«
»Wow. Und Sie wissen, was das bedeutet.«
»Dass ich im Traum unter Wasser atmen kann.«
Max zog die Oberlippe zu einem Elvis-Lächeln hoch. Dann sagte er feierlich: »Nein. Es bedeutet, dass Ihnen Gefühle nicht mehr die Luft nehmen. Vor allem nicht mehr die untenrum.«
»›Untenrum?‹ Wo steht das denn, im Haushaltskalender für respektable Ehefrauen von 1905?«
»Nein. Im Großen Traumdeuterlexikon von 1992. Das war meine Bibel. Meine Mutter hatte die schlimmen Wörter mit Edding geschwärzt. Ich hab damit allen die Träume gedeutet, meinen Eltern, den Nachbarn, den Jungen und Mädchen aus der Klasse … den ganzen Freud rauf und runter.«
Jordan streckte sich und vollführte einige Tai-Chi-Formen. »Habe nur Ärger bekommen, vor allem, als ich der Schuldirektorin ihren Traum von den Pferden gedeutet habe. Ich sag ihnen, Frauen und Pferde, das ist eine eigene Geschichte.«
»Das sagt mein Vater auch.«
Perdu erinnerte sich, dass er am Anfang, als sie sich kennenlernten, Träume von Manon hatte, in denen sie sich in ein Adlerweibchen verwandelte. Und er versuchte, sie zu fangen und zu zähmen. Er hatte sie ins Wasser getrieben, weil sie mit nassen Flügeln nicht fliehen konnte.
In den Träumen unserer Lieben sind wir unsterblich. Und unsere Toten leben nach ihrem Tod in unseren Träumen weiter. Träume sind die Drehscheibe zwischen allen Welten, zwischen Zeit und Raum.
Als Max den Kopf in den Fahrtwind hielt, um sich den Schlaf aus dem Gesicht zu treiben, sagte Perdu: »Schauen Sie mal. Da vorn ist unsere erste Schleuse.«
»Was, die Babywanne da neben dem Puppenhäuschen mit den Blumen? Da passen wir nie rein.«
»Und ob wir da reinpassen.«
»Wir sind zu lang.«
»Das ist eine Penische, kleiner als das Freycinet-Maß. Alle
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