Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
geflüsterten Gedichte und Verse, die ein Tanguero seiner Tanguera zuraunt, um sie ein wenig mehr … Tango zu machen. Welch köstliche, unerklärbare Spiele wir damit begannen. Wir lernten, uns im Schlafzimmer zu siezen. Und verlangten durch die Höflichkeitsform bisweilen recht unhöfliche Dinge.
Oh, Luc! Mit ihm ist es anders … weniger verzweifelt. Aber auch weniger natürlich. Bei Jean habe ich von Anfang an niemals gelogen. Luc verschweige ich meine Wünsche nach mehr Härte oder Zartheit, nach mehr Mut oder Spiel. Ich schäme mich, weil ich mehr will, als er geben kann – oder, wer weiß: Vielleicht könnte er, wenn ich nur einmal danach fragte? Doch wie?
»Wenn du mal mit einer anderen Frau tanzt, dann verrate nicht den Tango dadurch, dass du dich zurückhältst«, sagte uns Gitano, einer der Tangolehrer in den Bars.
Er sagte auch, dass Jean mich liebt. Und ich ihn.
Er würde es an jedem Schritt sehen, den wir täten; wir seien ein Wesen, und vielleicht kommt das der Wahrheit nahe?
Ich muss mit Jean sein, weil er der männliche Teil von mir ist. Wir sehen uns an und sehen dasselbe.
Luc ist der Mann, mit dem ich in eine gemeinsame Richtung schaue, nebeneinander.
Wir dagegen, anders als der Tangolehrer, wir reden nicht von Liebe.
»Ich liebe dich«, das dürfen die sagen, die ganz frei und rein sind. Romeo und Julia.
Aber nicht Romeo, Julia und Stefan.
Uns bleibt immer so wenig Zeit. Wir müssen alles auf einmal tun, sonst schaffen wir gar nichts. Miteinander schlafen und währenddessen über Bücher reden und zwischendrin essen und schweigen und streiten und versöhnen, tanzen und vorlesen, singen und weiter unseren Stern suchen – alles im Schnellverfahren. Ich sehne mich nach dem nächsten Sommer, wenn Jean in der Provence sein wird und wir Sterne suchen.
Ich sehe den Papstpalast in der Sonne golden glänzen. Endlich wieder, dieses Licht; endlich wieder Menschen, die nicht so tun, als seien die anderen gar nicht da, weder im Aufzug noch auf der Straße oder im Bus. Endlich wieder Aprikosen direkt vom Baum.
Oh, Avignon – früher habe ich mich gefragt, warum diese Stadt mit dem bösen, immer kalt und verschattet wirkenden Palast so voller geheimer Gänge und Falltüren ist. Jetzt weiß ich: Es muss diese Ruhelosigkeit des Begehrens schon seit Anbeginn der Menschheit geben. Lauben, Séparées, Logen, Maislabyrinthe – ihr dient doch alle nur demselben Spiel!
Es ist ein Spiel, von dem jeder weiß. Aber jeder tut so, als sei es nicht da, höchstens ganz fern, ganz ungefährlich, nicht wirklich.
Von wegen.
Ich fühle die bodenlose Scham in meinen Wangen, ich spüre das Vermissen in meinen Knien, und die Lüge wohnt zwischen meinen Schulterblättern und kratzt sie wund.
Lieber Mamapapa, mach, dass ich mich nicht entscheiden muss, ich bitte dich.
Und mach auch, dass die Erbse in meiner Achsel nur ein Kalkkrümel ist, wie sie ständig aus den Wasserhähnen rieseln, da droben im Valensole, wo der Lavendel wohnt und die unbestechlichsten Katzen.
22
M onsieur Perdu spürte, wie ihn Blicke unter getuschten Wimpern streiften. Wenn er den Blick einer Frau auffing, festhielt und erwiderte, wäre er schon mitten im Cabeceo, dem stummen Blickwechsel, mit dem beim Tango alles verhandelt wurde. Das »Fragen mit den Augen«.
»Schauen Sie auf den Boden, Jordan. Sehen Sie die Frauen nicht direkt an«, flüsterte er. »Wenn Sie eine Frau länger anschauen, wird sie annehmen, dass Sie sie fragen, ob Sie sie auffordern dürfen. Tanzen Sie Tango Argentino?«
»Ich war mal gut in freier Bewegung mit dem Fächer.«
»Tango Argentino ist so ähnlich. Er kennt nur wenige feste Schrittfolgen. Sie lehnen sich mit dem Oberkörper aneinander, Herz an Herz. Und dann hören Sie der Frau zu, wie sie geführt werden will.«
»Zuhören? Aber es spricht doch keiner.«
Das stimmte. Weder die Frauen noch die Männer noch die Paare auf der Tanzfläche verbrauchten Luft zum Reden. Und doch war alles an ihnen beredt. »Führ mich fester! Nicht so schnell! Gib mir Raum! Lass dich locken! Spielen wir!« Die Frauen korrigierten die Männer; hier ein Reiben mit dem Fußrücken über die Wade – »Konzentrier dich!« –, dort ein Ausmalen der stilisierten Achten auf dem Boden – »Ich bin die Prinzessin!«
Woanders gab es Männer, die bei den vier aufeinanderfolgenden Tänzen die Macht der Worte benutzten, um ihre Partnerin leidenschaftlicher werden zu lassen. Sie flüsterten ihr in weichem Portugiesisch ins Ohr, an den Hals, ins Haar, wo
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