Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)
Männer des Nordens, der Picardie, Normandie oder Lothringens, die an kolossaler Unfruchtbarkeit der Seele leiden. Was viele Frauen in Paris allerdings erotisch finden; als ob es eine sexuelle Herausforderung sei, einen Mann zu einem klitzekleinen Gefühl zu bringen! Sie vermuten in der Kälte ein besonders hitziges, brutales Maß an Leidenschaft, das sie über die Schulter wirft und irgendwo an den Boden nagelt …
Wir mussten es abbrechen, gingen nach Hause, tranken, drückten uns um die Wahrheit. Er war dann sehr liebevoll während des Kater-und-Katze-Spiels. Meine Verzweiflung war grenzenlos: Wenn ich mit ihm nicht tanzen konnte – was dann?
Ich bin mein Körper. Meine Vulvalippen lächeln saftig, wenn ich Lust habe, meine Brust schwitzt, wenn ich gedemütigt bin, und in meinen Fingern wohnt die Angst vor der eigenen Courage, sie beben, wenn ich beschützen und wehren will. Wenn ich dagegen vor konkreten Dingen Angst haben sollte, wie vor dem Knoten, den sie da in der Achselhöhle entdeckt haben und mir mit einer Biopsie rausholen wollen – ja, da werde ich konfus und ruhig zugleich. Konfus will ich mich beschäftigen; aber ruhig, so ruhig bin ich, dass ich weder ernste Bücher lesen mag noch breite, große Musik hören. Ich will nur dasitzen und das Licht des Herbstes sehen, wie es auf die gelb-roten Blätter tropft, ich will den Kamin säubern, ich will mich, erschöpft von so konfusen, substanzlosen, blöde umhertanzenden Gedanken, hinlegen und schlafen. Ja, ich will schlafen, wenn ich Angst habe – die Rettung der Seele vor der Panik.
Aber er? Jean, er hat seinen Körper nur wie einen Garderobenständer, an den er seine Hemden und Hosen und Jacken hängt.
Ich stand auf, er kam mir nach – ich ohrfeigte ihn. Brennen in der Hand, ein Feuer, als hätte ich in Glut gefasst.
»Hey!«, sagte er. »Aber warum …?« Ich gab ihm noch eine Ohrfeige, jetzt hatte ich heiße Kohlen in den Fingern.
»Hör auf zu denken. Fühle!«, schrie ich ihn an.
Ich ging zu dem Plattenspieler, gab uns den »Libertango«. Ein Akkordeon wie Peitschenschläge, Gertenhiebe, das Knacken der Äste im Feuer. Piazolla und die Geigen, die er jagte bis ins Höchste.
»Nein, ich …«
»Doch. Tanz mit mir. Tanz, wie du dich fühlst! Wie fühlst du dich?«
»Ich bin wütend! Du hast mich geschlagen, Manon!«
»Dann tanz wütend! Such dir in dem Stück das Instrument, das dein Gefühl spiegelt, folge ihm! Fass mich an, wie du dich über mich ärgerst!«
Kaum hatte ich das ausgesprochen, da packte er mich schon und drückte mich an die Wand, beide Arme erhoben, sein Griff fest, sehr fest. Die Geigen schrien.
Nackt tanzten wir, er hatte die Geige als Instrument seiner Gefühle gewählt. Sein Zorn verwandelte sich in Lust, dann in Zärtlichkeit, und als ich ihn biss und kratzte und mich wehrte, ihm zu folgen, mich weigerte, an seiner Hand zu gehen – da wurde mein Liebhaber zu einem Tanguero. Er kehrte zurück in seinen Körper.
Ich sah, während ich Herz an Herz mit ihm war und er mich fühlen ließ, was er für mich empfand, unsere Schatten an der Wand, an der violetten Lavendelzimmerwand tanzen. Sie tanzten im Rahmen des Fensters, sie tanzten wie ein Wesen, und Castor, der Kater, beobachtete uns vom Schrank herab.
Von diesem Abend an tanzten wir immer Tango; am Anfang nackt, weil es dann leichter war, das Wiegen und Drängen und Halten. Wir tanzten, jeder mit der Hand auf der eigenen Herzseite. Und dann, irgendwann, wechselten wir, legten die Hände auf die Herzgegend des anderen.
Tango ist eine Wahrheitsdroge. Er enttarnt deine Probleme, deine Komplexe. Aber auch deine Stärken, die du vor anderen versteckst, um sie nicht zu kränken. Und er zeigt, was ein Paar füreinander sein kann, wie sie aufeinander hören. Will einer nur sich selbst gern hören, wird er Tango hassen.
Jean konnte nicht umhin zu fühlen, statt sich in abstrakte Ideen vom Tanzen zu flüchten. Er spürte mich. Die Härchen meines Schoßes. Meinen Busen. Nie habe ich meinen Körper so sehr als Frau gespürt wie in den Stunden, als Jean und ich tanzten und uns danach liebten, auf dem Diwan, auf dem Boden, sitzend auf dem Stuhl, überall. Er hatte das Gefühl, so sagte er, »als seist du die Quelle, aus der ich ströme, wenn du da bist, und ich versiege, wenn du gehst«.
Danach tanzten wir uns durch die Tangobars in Paris. Jean lernte, mich die Energie seines Körpers spüren zu lassen und welchen Tango er von mir wollte – und wir lernten Portugiesisch. Zumindest die
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