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Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition)

Titel: Das Lavendelzimmer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina George
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als man ein Kind war, als die Tage ineinanderflossen und Vergänglichkeit keine Bedeutung hatte. Es ist das Geliebtwerden, das man nie wiederfindet. Es ist die Hingabe, die man einmal erlebte. Es ist alles, was ein Mensch nicht in Worte fassen kann.
    Er sollte sie in die Enzyklopädie der Gefühle aufnehmen.
    P. D. Olson kam an die Bar. Sobald seine Füße und Beine nicht mehr tanzten, ging er wieder wie ein alter Herr.
    »Was du nicht erklären kannst, musst du tanzen«, murmelte Perdu vor sich hin.
    »Und was du nicht aussprechen kannst, musst du aufschreiben«, sagte der alte Romancier polternd.
    Als die Kapelle nun »Por una Cabeza« anspielte, ließ sich die Brombeertänzerin an Max’ Brust fallen, ihre Lippen flüsterten ihm einige Beschwörungsformeln zu, ihre Hand, ihr Fuß, ihre Hüfte korrigierten diskret seinen Stand. Und dann machte sie, dass es so aussah, als führte er sie.
    Jordan tanzte Tango, erst mit weit aufgerissenen Augen, dann, auf einen gewisperten Befehl hin, mit gesenkten Lidern. Sie wirkten bald wie ein eingespieltes Liebespaar, die Fremde und der Junge.
    P.D. nickte Cuneo zu, dem rundlichen Barmann, der sich nun auch auf den Tanzboden zubewegte. Dort wirkte er leichter. Leicht und sehr galant in seinen schmalen, ehrerbietigen Bewegungen. Seine Tanzpartnerin war größer als er, und dennoch schmiegte sie sich an ihn, voller Vertrauen.
    Da beugte sich P. D. Olson vertraulich zu Perdu.
    »Eine wunderbare literarische Gestalt, dieser Salvatore Cuneo. Kam als Erntehelfer in die Provence, Kirschen, Pfirsiche, Aprikosen, alles, was sensible Hände braucht. Er arbeitete zusammen mit den Russen und Maghrebinern und den Algeriern. Verlebte eine Nacht mit einer jungen Flussschifferin. Sie verschwand am nächsten Tag wieder auf ihren Kahn. Irgendetwas mit Mond. Seither sucht Cuneo die Flüsse nach ihr ab. Seit über zwanzig Jahren. Arbeitet mal hier, mal da, ich glaube, er kann inzwischen alles. Vor allem kochen. Aber auch malen, einen Tanklaster reparieren, Horoskope errechnen … was Sie wollen, das macht er. Den Rest lernt er in wahnwitziger Geschwindigkeit. Der Mann ist ein Genie im Körper eines neapolitanischen Pizzabäckers.« P.D. schüttelte den Kopf. »Zwanzig Jahre. Das muss man sich mal vorstellen. Wegen einer Frau!«
    »Ja, und? Gibt es einen besseren Grund?«
    »Das müssen Sie natürlich sagen, John Lost.«
    »Wie bitte? Wie haben Sie mich gerade genannt, Olson?«
    »Haben Sie doch gehört. Jean Perdu, John Lost, Giovanni Perdito – ich habe schon mal von Ihnen geträumt.«
    »Haben Sie Südlichter geschrieben?«
    »Haben Sie schon getanzt?«
    Jean Perdu kippte den Rest Pastis in einem Zug hinunter.
    Dann drehte er sich um und ließ seinen Blick über die Frauen gleiten. Manche schauten fort, andere hielten stand.
    Und eine, die zielte mit ihrem Blick auf ihn. Sie war Mitte zwanzig. Kurze Haare, kleiner Busen, fester Deltamuskel zwischen Oberarm und Schulter. Und ein Brennen im Blick, das von unendlich viel Hunger, aber auch von dem Mut erzählte, diesen Hunger zu stillen.
    Perdu nickte ihr zu. Sie erhob sich, ohne zu lächeln, und ging ihm die Hälfte des Wegs entgegen. Minus exakt einen Schritt. Diesen letzten, den wollte sie ihm abzwingen.
    Sie wartete. Eine wütende, gerade noch beherrschte Katze.
    Im selben Moment beendete die Kapelle ihr erstes Lied; und Monsieur Perdu schritt auf die lebenshungrige Katzenfrau zu.
    »Kampf!«, sprach ihr Gesicht.
    »Unterwirf mich, wenn du kannst, aber wage es nicht, mich zu demütigen«, forderte ihr Mund.
    »Und wehe, du hast Scheu, mir Schmerz zuzufügen. Ich bin weich, aber ich spüre das Weiche erst in der Leidenschaft ganzer Härte. Und ich kann mich wehren!« – das sagten ihre kleine, feste Hand und die fast vibrierende Spannung, die ihren Körper aufrecht hielt, und ihre Schenkel, die sie jetzt an seine schmiegte.
    Von oben bis unten presste sie sich an ihn – aber bei den ersten Tönen gab Jean seine Energie mit einem Stoß aus seinem Solarplexus an sie weiter. Er drückte sie tief, tief, noch tiefer nach unten, bis sie beide mit einem Bein in den Knien waren, das andere lang zur Seite ausgestreckt.
    Ein Raunen ging durch die Reihe der Frauen, aber es verstummte sofort, als Perdu die junge Frau hochzog und sie dabei ihr Spielbein schnell und raffiniert um seine Knie schlang. Ihre Kniekehlen fanden sich zart. Sie waren so eng aneinandergeschmiegt wie sonst nur nackte Liebende.
    Es pochte eine Kraft in Jean, die lange ungenutzt gewesen

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