Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
Meinung doch auch ändern«, sagte ich.
»Alex nicht«, sagte Julie. »Der ändert sie nicht mal, wenn er im Unrecht ist.«
In diesem Moment begriff ich, dass ich Alex offenbar schon besser kannte als sie. Aber das hätte sie mir niemals geglaubt. Genauso wenig wie ich Syl glauben würde, wenn sie so etwas in Bezug auf Matt behaupten würde.
»Alex liebt dich«, sagte ich. »Er will nur dein Bestes. Genau wie Carlos. Sei froh, dass du die beiden hast.«
Julie schüttelte wieder den Kopf. »Mag sein, dass sie mich lieben, aber sie wollen mich trotzdem loswerden. Alle beide. Aber das macht nichts. Die Heilige Mutter Gottes wird für mich sorgen, bis ich allein zurechtkomme.«
» Wir werden für dich sorgen«, sagte ich. »Mom, Dad, Lisa und Charlie. Jon. Ihr gehört jetzt zur Familie, du und Alex.«
»Wir haben keine Familie«, sagte sie. »Nicht mehr. Komm, wir müssen wieder zurück.«
Ich folgte ihr zum Farmhaus. Dort hatten Schwester Paulina, Dad und Alex sich gerade hingekniet, um zu beten. Julie tat es ihnen nach. Ich kam mir blöd vor, wie ich so danebenstand und zusah. Aber ich wusste, dass ich mir noch viel blöder vorkäme, wenn ich mitmachen würde.
Dann gingen Dad und Alex in die obere Etage hinauf und kamen kurze Zeit später mit Schwester Helen wieder herunter. Sie hatten sie in ein Laken gewickelt, aber es war trotzdem schwierig, sie zu tragen. Julie lief, ohne zu zögern, hin, um mit anzufassen. Mir blieb nichts anderes übrig, als das auch zu tun.
Wir trugen Schwester Helen hinaus, Schwester Paulina an unserer Seite. Dad und Alex ließen die Leiche vorsichtig in die Grube hinab. Alex, Julie und die Nonne sprachen ein paar Gebete, dann füllten Dad und Alex das Grab wieder mit Erde auf.
Danach blieben wir nicht mehr lange. Es war noch früh, aber die Wolken wurden immer dunkler. Schwester Paulina küsste uns zum Abschied, dankte uns und sagte, sie würde Schwester Grace von unserem Besuch erzählen, sobald diese zurück war. Was, wie wir alle wussten, niemals der Fall sein würde.
Wir waren noch keine zwei Stunden unterwegs, als der Transporter stehenblieb. Diesmal hatte er endgültig den Geist aufgegeben.
Dad stieg aus, öffnete die Motorhaube und tat, als wüsste er genau, was los war. Alex stellte sich dazu. Ihr männliches Getue wirkte ziemlich albern, und sie stiegen erst wieder ein, als es zu regnen anfing.
»Wir schlafen heute Nacht im Auto«, sagte Dad. »Und machen uns morgen früh auf den Heimweg.«
»Wie weit ist es noch?«, fragte Julie.
»Ungefähr sechzig Kilometer, schätze ich«, sagte Dad.
»Dafür brauchen wir zu Fuß zwei Tage«, sagte Alex. »Drei, wenn das Wetter so bleibt.«
»Das schaffen wir schon«, sagte Dad. »Am Donnerstag sind wir wieder zu Hause.«
Auch wenn es keiner von uns aussprach, so war doch allen klar, dass zwei Tage Fußmarsch ohne Essen vor uns lagen. Und je länger man nichts isst, desto schwerer fällt das Laufen.
Hier sitzen wir nun. Der Regen trommelt aufs Autodach. Dad hockt hinterm Steuer und starrt durch die Windschutzscheibe nach draußen. Wahrscheinlich denkt er an Lisa und Mom. Daran, was für Sorgen sich die beiden machen werden. Hinten auf der Rückbank tuscheln Alex und Julie auf Spanisch miteinander. Ich hatte mein Tagebuch und einen Lampenstift eigentlich nur so für alle Fälle eingepackt. Jetzt sitze ich hier auf dem Beifahrersitz und schreibe alles auf. Denn je mehr ich mich auf das konzentriere, was schon passiert ist, desto weniger muss ich darüber nachdenken, was noch passieren wird.
28. Juni
Heute übernachten wir im Verkaufsraum einer Tankstelle. Zu viert ist es ganz schön eng hier drin. Essbares war auch nichts zu finden (wir haben alles durchsucht). Das Dach ist undicht und von den Fenstern ist keins mehr heil. Aber die Toilette funktioniert, von daher muss es wohl trotzdem das Paradies sein.
Wir haben hier angehalten, obwohl es noch nicht dunkel war, weil Julie so gehustet hat. Aber ich hätte es ohnehin nicht mehr viel weiter geschafft.
Dad meint, wir wären heute gut vorangekommen. Er nimmt an, dass wir noch etwa dreißig Kilometer vor uns haben. Morgen Abend müssten wir zu Hause sein.
»Ich möchte euch noch sagen, wie stolz ich auf euch bin«, sagte er. »Vor einem Jahr hatte ich drei Kinder. Jetzt habe ich sieben. Die Welt liegt in Scherben und ihr habt jedes Recht, wütend und verunsichert zu sein. Aber es wird bestimmt auch wieder besser. Dafür werdet ihr schon sorgen.«
»Wir werden uns alle Mühe
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