Das Leben, das uns bleibt (German Edition)
sprechen«, sagte er. »Überreden Sie ihn, dass er wieder nach Hause kommt. Für Julie ist es nicht gut, wenn er die ganze Zeit da ist.«
»Tut mir leid«, sagte Mom. »Aber sobald Jon sich mit dem abfinden kann, was Syl getan hat, wird er schon zurückkommen.«
»Kannst du nicht mit ihm reden?«, fragte mich Alex.
Was sollte ich ihm denn sagen? Dass er Syls Entscheidung, Horton rauszulassen, damit er friedlich im Wald sterben konnte, endlich akzeptieren sollte? Ich kann das ja selbst nicht. Dass ich schon vor unserer Fahrt zum Kloster auf Matt sauer war, macht die Sache nicht besser, denn jetzt bin ich nur noch wütender auf Ihn.
Mom wird auf keinen Fall das Haus verlassen, worüber ich mich weigere nachzudenken, weil es mir Angst macht. Mit Matt will Jon nicht sprechen. Dad hat Lisa, Gabriel und seine eigenen Ängste, mit denen er klarkommen muss. Und Alex sah schrecklich aus.
»Ich rede mit ihm«, sagte ich. »Aber ich werde nicht versuchen, ihn umzustimmen.«
»Versuch einfach, ihn zu beruhigen«, sagte Alex.
»Ist gut«, sagte ich. »Aber mach dir keine allzu großen Hoffnungen.«
Jon hat auch erst am Donnerstag erfahren, was Syl getan hat. Am Dienstagabend war er auf Moms Bitte hin zu Lisa rübergegangen. Am Mittwochmorgen hat Syl dann Horton rausgelassen. Matt zufolge hat sie das nur gemacht, um Jon zu ersparen, dass er zusehen muss, wie Horton stirbt. Selbst wenn das stimmt, wäre es nicht an ihr gewesen, das zu entscheiden.
Mom hat vor lauter Sorge um uns überhaupt erst am Donnerstag bemerkt, dass Horton verschwunden war. Syl hat ihr und Matt dann erzählt, was sie getan hat, und Matt ist rüber, um es Jon zu sagen. Die beiden haben stundenlang nach Hortons Leichnam gesucht, obwohl der keine fünfzig Meter vom Haus entfernt lag. Sie wussten einfach nicht, wo sie nach ihm suchen sollten.
Ich fang jetzt nicht wieder an zu weinen.
Matt ist dann ins Haus gegangen, um ein Handtuch und Hortons mit Katzenminze gefüllte Lieblingsmaus zu holen. Er wickelte Horton in das Handtuch, dann begruben Jon und er den Kater in Moms altem Blumenbeet. Das war am Donnerstagnachmittag. Keiner wusste, wo wir waren und wie es uns ging.
Und ich wusste noch nicht, dass Horton tot ist.
Ich hasse Syl. Ich hasse sie dafür, dass sie Horton das angetan hat. Dass sie Jon und Mom das angetan hat. Es zerreißt mir das Herz, wenn ich daran denke, dass Horton vielleicht versucht hat, nach Hause zu kommen, aber zu schwach war, diese letzten paar Meter zu schaffen. Aber vielleicht ist er auch überhaupt nur bis dahin gekommen.
Ich wusste, dass er bald sterben würde. Jon ahnte es wohl auch. Aber ich finde, Horton hätte das Recht haben müssen, bei uns zu sterben. Schließlich ist das hier viel mehr sein Zuhause als das von Syl.
Charlie hat uns offenbar gesehen, als wir zum anderen Haus rübergingen, denn er kam uns hinterhergelaufen. »Ich wollte dir noch sagen, wie leid es mir tut«, sagte er. »Wegen Horton. Er war … « Er stockte. »Er war eine tolle Katze.«
»Danke«, sagte ich. »Das stimmt.«
Charlie tätschelte mich am Arm, dann ging er zu Matt zurück.
Alex blickte mich an. »Mir tut es auch leid«, sagte er. »Das mit eurer Katze. Ich hab nie ein Haustier gehabt, deshalb weiß ich nicht, wie sich das anfühlt. Aber ich sehe ja, wie aufgelöst Jon deshalb ist.«
»Horton gehörte zur Familie«, sagte ich. »Das ist so, als würde man einen nahen Verwandten verlieren.«
Alex ist wie Syl und Charlie. Er redet nicht über seine Vergangenheit, seine Familie. Ich weiß, dass er einen älteren Bruder und eine jüngere Schwester hat, aber er hat mir nie erzählt, was mit seinen Eltern passiert ist. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was er erlebt haben muss, um so sicher zu sein, dass der Tod manchmal besser ist als das Leben.
Ich habe viele Narben. Die hat jeder, der heute noch am Leben ist. Aber Alex’ Narben müssen noch sehr viel tiefer gehen als meine.
»Tut mir leid«, sagte ich. »Natürlich ist das anders. Aber es tut trotzdem schrecklich weh.«
Alex nickte. »Vielleicht wärst du besser nicht mitgekommen. Vielleicht hättest du es verhindern können.«
»Horton wäre sowieso bald gestorben«, sagte ich. »Das war nur noch eine Frage der Zeit. Aber mir gefällt nicht, wie er gestorben ist. Ich glaube, das werde ich Syl niemals verzeihen. Es war trotzdem gut, dass ich mitgefahren bin, damit ich mal sehe, was da draußen wirklich los ist. Das musste ich einfach wissen.«
»Ich habe Gott gedankt, dass du
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