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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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nach dem Unterricht, obwohl sie in die andere Richtung sollte. Mitten im Dorf in einem verlotterten Bauernhaus wohnen sie.
    »Schimpfen deine Eltern denn nicht, wenn du so herumtrödelst?«
    »Es sind nur die Geschwister da, s Mueti putzt über Mittag, und der Vati nimmt das Essen mit in die Fabrik.«
    »Aber ihr seid doch Bauern?«
    »Ach was! In dem Haus bauert längst niemand mehr. Es gehört der Gemeinde, im Stall sind ihre Schneepflüge eingestellt. Sobald es abgerissen wird, müssen wir raus.«
    »Wo geht ihr denn nachher hin?«
    Margrit weiß es nicht.
    »Und wer kocht für euch?«
    »Die Suppe ist immer parat, die können wir nur aufheizen.«
    »Seid ihr Arbeiterleute?«
    »Ja, was denn sonst?«
    Ohne weiterzureden, steigen wir den Waldweg hoch. Margrit trägt Holzschuhe. Die bekommen die armen Kinder von der Gemeinde. Und was von der Pausenmilch übrig bleibt, gibt ihr Fräulein Hollder manchmal mit heim. Ob ich Margrit zum Mittagessen zu uns mitnehmen soll? Mama und Papa sagen immer, wir sollen auch an die denken, die es nicht so schön haben wie wir.
    Auf der Höhe des Tannenwegs sage ich zu Margrit: »Zurück gehst du besser durchs Quartier als durch den Wald.«
    Unter der Haustür fängt mich Anna schon wieder mit einem Auftrag ab. Tina hat wegen ihrer kranken Nonna heimmüssen. Nun ist eben diese Anna da. In den ersten Wochen haben wir ihren süditalienischen Dialekt kaum verstanden. Klein, nicht viel größer als Anton ist sie, dafür breit, am liebsten regiert sie herum. Tisch decken und so, den Milchkasten leeren, Kleider aufräumen. Oder dann soll ich wieder in den
Konsum
, weil sie beim Einkauf dauernd etwas vergisst. Dann befiehlt sie: »Sù, vai fare i compiti!« Und wenn es Mama hört, sagt die auch noch, »Anna hat Recht, geh und mach deine Schulaufgaben«. Ihr eng am Kopf liegendes Haar fettet sie ein, damit es noch schwärzer wirkt, als es ohnehin ist. Über der Lippe hat sie einen dunklen Flaum, wenn der zittert, gehorche ich lieber. Sogar Blitz verschwindet, sobald Anna zu schimpfen beginnt. Von ihr habe ich »porca miseria« und »vaffanculo« gelernt, das sage ich jetzt zum Bruder, wenn wir streiten. Nicht zu Koni, der macht alles mit, was ich ihm vorschlage. Gutnachthüpfen machen wir am liebsten. Wir schlüpfen in Papas Pyjama, er in das eine, ich in das andere Bein, und hüpfen so im Takt durchs Haus. Bei unseren eigenen Pyjamahosen schlüpft jeder in ein Hosenbein, so dass das andere als Schleife hinten runterhängt. Damit trippeln wir um die am Boden liegenden Kissen und reden japanisch. Wenn wir Neger sind, machen wir im Zimmer dunkel, und einer schleicht den anderen an, Papas Fischrute ist der Speer. Leider ist uns die Spitze gebrochen, wir haben die Rute jetzt im Kohlenkeller versteckt. Koni kennt einen tollen Negertanz, um den ich ihn beneide. »Das muss man eben im Blut haben«, sagt Mama, »deshalb gehst du ja ins Ballett, damit du weniger steif bist.« Koni tanzt so gut – er soll es bei unserem nächsten Fest den Gästen vorführen, finden die Eltern.
    Weil Mama nicht selber kochen muss, haben wir vor dem Mittagessen häufig Gäste zum Aperitif. Daniel Vonauen ist in letzter Zeit am häufigsten bei uns. Er interessiert mich mehr als die übrigen Freunde der Eltern. Er ist nämlich anders, hat Mama ihren Schwestern erzählt. Noch habe ich nicht herausgefunden, was an ihm anders ist. Großmama würde sagen, er ist so ein richtiger Herr, nicht bloß ein Mann. Jedenfalls gefällt er mir, Onkel nenne ich ihn aber trotzdem nicht. Er würde gut zu Tanta Amanda passen. Gleich und gleich gesellt sich gern. Auch das weiß ich von Großmama. Meistens ziehen sich zwei Hübsche oder zwei Hässliche an, zwei sehr Anständige oder zwei ohne Manieren, zwei aus Arbeiterkreisen oder zwei aus besseren Familien. Es sei denn, einer von beiden hat viel Geld. »Dann kann sich Hässlichkeit schon mal mit Schönheit paaren.«
    Mama drängt Daniel, bei uns zu essen, »es gibt Walliserkuchen und Apfelkompott, das hast du bestimmt gern!«
    Herr Vonauen muss Mamas Einladung abschlagen. Obwohl unterdessen auch Papa heimgekommen ist und sie zusammen schon den zweiten Absinth trinken, schüttelt er wieder den Kopf, »d Mamme erwartet mi«. Dennoch beginnt er jetzt vom Sonntag in Berner Wankdorf-Stadion zu erzählen. »Wenn er beim Fußball ist, hört er nicht mehr auf«, flüstert mir Mama ins Ohr.
    »Nach dem raschen Zwei zu Null der Ungarn – Puskas und Czibor, sechste und neunte Minute – hat

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