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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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dann sagen sie das Nächste. Offenbar hätte sie gerne den Daniel Vonauen geheiratet.
    »Das wäre mit euch zwei nie gegangen!«
    »Das ist eine Veranlagung, keine Willenssache!«
    »Als Verheirateter hätte er sich noch mehr verstellen müssen!« Papa rückt seinen Stuhl, steht auf … Und kommt glücklicherweise nicht in den Salon. Die beiden Frauen haben ihn zurückgehalten, sie wollen keinen Likör zum Kaffee. Er schenkt sich Wein nach und fährt fort, auf die Stumme einzureden: »Ihm wäre genau gleich gekündigt worden, ob er nun mit dir zusammen gewesen wäre oder nicht.«
    »Wir vermissen ihn ja auch, aber …«
    »Niemand hätte es verhindern können.«
    Jetzt spricht die Frau: »Ich vielleicht schon. Er hat ja gewisse Bemerkungen gemacht, aus denen ich hätte merken müssen, was er vorhat. Er ist in letzter Zeit …«
    Blitz beginnt zu schnarchen. Es wird mir zu gefährlich hier. Auf Zehenspitzen gehe ich in mein Zimmer hinauf.
Die Italiener sind nur im Sommer da
    Hinter der Italienerbaracke hängen zwei Männer Wäsche auf. Die Schnur haben sie zwischen Tannen gespannt.
    »Schau mal, die Italiener dort machen Frauenarbeit!«
    »Ja«, sagt Kläri, »die putzen und kochen auch, die müssen das, weil sie alleine hier sind.«
    Beim Essen beginnt Koni plötzlich laut zu husten.
    »Heb d Hand vors Mül!«
    Aber er hält die Hand nicht vor den Mund. Prustet drauflos – und wird knallrot. Mama läuft erschrocken zu ihm und schlägt ihm mehrmals auf den Rücken. Nachdem sie eine Gräte aus seinem Mund gezupft hat, soll er etwas Brot essen und Wasser trinken.
    »Nächsten Freitag machen wir für euch Kinder wieder Fischstäbchen!«
    Wahrscheinlich ist meine Frage nicht dumm; Papa hält mit dem Essen inne und lehnt sich leicht zurück: »Die Italiener tun die Hausarbeit in der Schweiz bloß, weil sie ihre Familien nicht in unser Land mitnehmen dürfen, aber wieder zuhause, sind sie die größten Paschas.«
    »Was ist ein Pascha?«
    Mama lächelt verschmitzt, kneift ein Auge zu und zeigt mit einer Kopfbewegung auf Papa.
    »Weshalb bringen die Italiener denn ihre Familien nicht mit?«
    »Weil sie sowieso jeden Winter nach Italien zurückmüssen.«
    »Warum denn das?«
    »Weil wir im Winter keine fremden Bauarbeiter brauchen.«
    »Sie heißen Saisonniers«, sagt Anton stinkwichtig.
    Also mache ich mich auch wichtig: »Tschingge l’amore, dräck a der Schnore, s Füdli verlore, wider gfunde, zämebunde!«
    Die Eltern lachen nicht. Sollten sie das je noch einmal hören, »berchunsch en Tätsch uf z Mül!«
    »Gell Papa«, prahlt mein Bruder, »wir haben die Italiener an der WM geschlagen!«
    »Psst! Stell Beromünster ein, ich will die Nachrichten hören!« Papa geht näher zum Radio und hört nickend zu. »Der Nasser het schich also doch durgsetzt!«
    Bevor er wieder in die Praxis fährt, will er im Keller die Kohlelieferung kontrollieren. Nach einigen Minuten kommt er mit seiner kaputten Fischrute ins Esszimmer. »Wer ist das gewesen?!«
    Er wirkt ziemlich wütend, und Konrad ist bei Schmids …
    »Koni hat sie zerbrochen.«
    »Der wird am Abend etwas hören!«
    Papa verabschiedet sich so schlecht gelaunt von uns, dass Mama traurig sagt: »Warum bloß müsst ihr ihn immer dermaßen aufregen, ihr wisst doch, dass er’s auf dem Herzen hat!«
    Kaum ist er zur Haustür hinaus, laufe ich ihm nach.
    »Du, Papa …«
    Er geht weiter – jetzt dreht er sich doch noch um.
    »Papa, das mit der Fischrute … Eigentlich bin ich es gewesen. Eigentlich habe ich die Idee mit dem Negerspiel und den Speeren gehabt, dann ist …«
    Papa steigt wortlos in seinen Studebaker, lässt den Motor an, schaut nicht mehr seitwärts, als er wegfährt.
    Am Nachmittag besucht uns Jean. Er begrüßt zuerst Mama, dann küsst er mich laut auf die Wange. »Erinnerst du dich an die morsche Schaukel in unserem Garten?«
    Das fragt er jedes Mal, auch sagt er, ich würde mal so hübsch wie Mama sein.
    »Darf ich euch meinen neuen Wagen vorstellen: ein Borgward Isabella, fünfundfünfzigtausend Kilometer, sieht aber aus wie nigelnagelneu.«
    »Meine jüngste Schwester heißt gleich wie dein Auto!«
    »Ist sie so attraktiv wie mein Wagen«, fragt Jean Mama und geht mit ihr Arm in Arm ins Haus. Seinen Strauß übergibt er ihr erst drinnen. Wieder sind es orange Blumen. »Rot ist leider dem Gatten vorbehalten«, sagt er schmunzelnd. Anna hat für ihn frischen Saft gepresst, Jean trinkt seit einem Unfall keinen Alkohol mehr. Mama gießt sich etwas Whisky in

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