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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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natürlich jeder gedacht, die Sache sei entschieden, aber dann …«
    Erst als Anna das zweite Mal klopft und »è pronto!« ruft, schaut unser Gast auf seine Uhr, »oh, Entschuldigung, ich habe mich ganz vergessen!«
    Nachdem Anna aufgetragen hat und wieder in der Küche verschwunden ist, beginnen die Eltern über Daniel Vonauen zu reden. Sie wirken besorgt. »So einen renommierten Agenten können sie doch nicht bloß deswegen absägen wollen! Eigentlich merkt man ja nichts, sein Leumund ist …«
    »Ja, tadellos, bis auf das Eine«, beendet Papa Mamas Satz.
    »Was merkt man nicht?«
    Da sie mich überhören, frage ich weiter: »Hat Leumund etwas mit Leu zu tun?«
    »Das Thema isch nix fer Chiner!«
Papa hat den Weiher satt –
und anderes auch
    Wir haben unseren Waschbottich durch eine Waschmaschine ersetzt, doch Anna ist noch nicht zufrieden. »Kaum gibst du den kleinen Finger, wollen sie die ganze Hand«, klagt Mama. Anna weigert sich neuerdings, am Donnerstag mit dem Staubsauger und dem Blocher im Leiterwagen ins Dorf in die Praxis zu gehen. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und widerspricht Mama. Mama gibt nach. »So bringen wir Madame eben im Auto ins Dorf.« Mama muss sowieso in die Schule kommen. Fräulein Hollder hat angerufen. Sie wird sagen, ich sei vorlaut und störe die anderen.
    »Und«, fragt Papa beim Abendessen, »wie ist diese Hollder?«
    »Ach«, winkt Mama ab, »so wie Lehrerinnen eben sind.«
    Papa schaut mich prüfend an. Doch sein Blick ist nicht wirklich streng. »Kommt mal mit zu unserem Weiher«, sagt er.
    Im Weiher schwimmt ein Hecht, der ist so lang wie mein ganzer Arm! Papa hat ihn aus der Alten Aare gefischt.
    Bevor es dunkel wird, gehen Papa und ich noch einmal in den Garten, um den Fisch im Wasser zu beobachten. Papa zögert, ob wir den wunderschönen Fang überhaupt essen sollen …
    »Bitte nicht!«
    Am Morgen ist der Hecht weg. Papa hat eine Stinkwut auf die zwei Katzen von Frau Blaser. Wir sollen jetzt unser Bassin bekommen! Er hat den Weiher satt.
    Und auch Zuchwil hat Papa satt. »Die Schulzahnpflege, der Männerchor, Parteiversammlungen…, das alles hängt mir zum Halse raus!«, erklärt er Onkel Raoul.
    »Du singst im Männerchor? Du?«
    Onkel Raoul sperrt seinen Mund beim Lachen dermaßen weit auf, dass ich die Lücke sehe, in die ihm Papa eine Brücke machen wird. »Warum willst du die Praxis ausgerechnet nach Grenchen verlegen? Außer Fabriken…«
    »Eben. Eine anonyme Uhrenstadt, da schuldest du keinem etwas, abends drehst du den Schlüssel um – und fährst fort. Du kennst mich ja, ich muss frei sein.«
    Freiheit ist wichtig. Das sagt auch der Pfarrer. Wir Menschen sind frei, uns für das Gute oder das Böse zu entscheiden. Doch wenn wir sterben, müssen wir vors Jüngste Gericht. An der Pforte wird Petrus stehen und sagen, ob wir in den Himmel dürfen oder in die Hölle müssen. Weil Gott nur das Gute für uns will, dürfen wir unsere Sünden beichten und immer wieder aufs Neue versuchen, bessere Menschen zu werden. Anton hat bei seiner heiligen Erstkommunion fast den ganzen Katechismus auswendig gelernt. »Wir sind auf Erden, um Gott zu gefallen, Gutes zu tun und dereinst in den Himmel zu kommen«, mussten sie in Zierschrift auf helles Einfasspapier schreiben. Für die Reformierten, die nicht beichten können, ist es natürlich viel schwieriger, in den Himmel zu gelangen. Kläri und ich haben abgemacht, dass auch sie katholisch wird, dann kann sie später mit mir ins Institut kommen. Seit Klara meine Freundin ist, sage ich Kläri. Ihrem Vater gehört die Dorfdrogerie. Ich habe Mama deshalb gebeten, lieber bei ihm als in der Stadt einzukaufen.
    Damit die Kinder tagsüber weniger allein sind, hat Margrits Vater ein Hündchen gekauft. Es hat lange braune Zotteln, eine sibirische Rasse, deshalb sagen sie Vanja zu ihm, das ist Russisch und heißt Hänschen.
    »Er ist so herzig, können wir nicht auch so einen kaufen?«
    Papas Gesicht sagt schon vor einer Antwort nein. Er wendet sich an Mama: »Ist das dieser Aufwiegler von der PedeA?«
    Sie hebt nur die Schultern. »Seit wann interessierst du dich denn für Dorfpolitik?«
    »Papa, was ist PedeA?«
    »Das sind die Schweizer Kommunisten.«
    »Äch wa«, korrigiert Mama, »das ist die Partei der Arbeit.« Sie geht zum Grammophon und legt
Du schwarzer Zigeuner
auf. »Nicht schon wieder dieser Vico Torriani …!«
    Papa verschwindet mit der Zeitung unterm Arm in den Salon. Seit wir dort andere Möbel haben, ist der Lesesessel

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