Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen
wehtut und blutet. Zur Strafe muss ich jeweils Frottéwäsche falten oder das Zimmer selber aufräumen oder Tina in der Küche helfen. Tina helfen, das mache ich nicht ungern. Gestern haben wir zusammen
l’inverno è passato
gesungen, ich bin am Küchentisch gesessen und habe versucht, dazu im Takt den Rahm zu schlagen. Wenn ich mal schöne Haut und schöne Finger habe, bekomme ich ein Bisibäbi. Eines, das aussieht wie ein richtiges Bébé, nur kleiner, und nach dem Schöppeln macht es Pipi. Gerda hat schon lange eines. Weil sie das reichste Mädchen unserer Klasse ist, hat sie sogar Rollschuhe. Morgen will sie mir nach der Schule das Auto ihres Vaters zeigen.
»Weshalb habt ihr nur einen vw-Käfer, wo dein Papa doch Zahnarzt ist?«
»Weil man im Leben nicht immer alles haben muss, was man haben will.«
Gerda lacht blöd und schiebt das Garagentor hoch. »Da, schau, das ist ein Mercedes, hundertundvierzig fährt der! In ganz Zuchwil gibt es keinen zweiten.«
»Zeigst du mir jetzt dein Zimmer?«
»Nein, meine Mutter hat Migräne. Aber wir gehen doch zu dir, und dann zeigst du mir dein Zimmer!«
Mich reut es schnell, Gerda mit heimgenommen zu haben. Sie betatscht alles, auch die Dinge, die über meinem Bett hängen. »Das ist nur zum Anschauen! Es sind Andenken, die mir Mama und Papa von ihren Reisen mitbringen. Die Stoffpuppen sind aus Rom und aus Nizza, der Gondeliere kommt aus Venedig, der Fächer ist aus Spanien, und ganz neu ist dieses Trachtenpärchen aus Bayern …«
Gerda ist wenig beeindruckt. Sie will sehen, wie viele Kleider ich habe, das interessiert sie mehr.
Ein Gewitter löst das Problem
Benedikts Fell ist hellbraun, er hat einen Stummelschwanz und eine eingedrückte Schnauze. Ungeduldig zappelt er mit den Vordertatzen am Gitter hoch und schnuppert an meinen Fingern. Mit seinen eingepackten Ohren sieht er drollig aus – und ein bisschen bedauernswert. Seine Geschwister sind schon alle verkauft. »Boxer sind halt sehr aufgekommen und begehrt«, erklärt die Züchterin. Papa berät sich mit Mama, die ihm zuredet, diesen Welpen zu nehmen, auch wenn er der letzte seines Wurfs ist. Er ist reinrassig und aus einer guten Zucht, »was willst du mehr?«
Nachdem Papa den Kleinen bezahlt hat, legt ihn die Züchterin zwischen Koni und mich auf den Hintersitz. Sie schiebt dem Hündchen ein zerschlissenes Frottétuch unter, »für alle Fälle!« »Jetzt wird gefeiert«, verkündet Papa, kaum sind wir wieder auf der Hauptstraße. Wir kraulen unseren neuen Kumpan, damit er nicht Heimweh hat. Er tut keinen Wank. Bei einem rundlichen Kiesplatz biegt Papa ein: »Der Emmentaler-Hof soll en fantastischi Frässbeiz sii!«
Ganz hinten ist ein letzter Tisch frei. Jeder darf bestellen, was er will. Wir bestellen alle Bratwurst und Rösti.
»Der Benedikt wird nun Papas Hund sein, so wie Alpha Großpapas Hund gewesen ist.«
Ich verstehe Mamas Erklärung nicht. »Benedikt gehört doch uns allen!«
»Ja und nein«, sagt Papa. »Zu einem Hund muss man eine tiefe Beziehung haben. Und ein Hund gehorcht nur einem Meister.«
Kaum stehen die Meringues mit Bergen von Rahm vor uns, beginnt es draußen zu hupen – es hört nicht mehr auf. Wir Kinder eilen samt Papa ans Fenster.
»Welcher Idiot …!«
Noch bevor Papa den Satz beendet hat, klopft ihm der Wirt auf die Schulter. »Verzeihung, ich glaube, das kommt aus Ihrem Auto.«
Anton soll sofort nachsehen, Papa gibt ihm den Autoschlüssel. Mit dem Hundebaby auf dem Arm kommt er in die Gaststube zurück.
»Benedikt hat sich am Steuer eingeklemmt … Und jetzt hat er mir auch noch auf den Pulli gepisst.«
»Zieh den Pulli halt aus. Du kannst ihn auf den Boden legen, dann können wir den Kleinen darauf plazieren.«
Mama ist mit Papas Vorschlag nicht einverstanden. Man sieht es ihrer gerunzelten Stirn an.
Benedikt muss anders heißen, da schon unser Nachbarbub Benedikt heißt. Wir suchen nach neuen Namen mit dem Anfangsbuchstaben B.
»Baum, Bauer, Bohne …«
»Birchi«, ruft Koni so begeistert, dass die am Nebentisch herüberschauen.
»Bernina, Blut …«
»Kinder, das sind doch keine Hundenamen«, unterbricht uns Mama. Ein furchtbarer Donner kracht in unsere nächsten Vorschläge. Für einen Augenblick wird es in der Wirtschaft finster, nach kurzem Flackern ist das Licht wieder normal.
»Blitz«, sagt Papa, »jetzt hab ich es, Blitz wird er heißen.«
Margrit möchte mich als Freundin. Sie hängt ihren Turnsack seit Dienstag neben den meinen und begleitet mich
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