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Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen

Titel: Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Rudolf
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Bärenpfote aus.
    »Tut’s fest weh?«
    »Nein, nein.« Sie versucht zu lächeln.
    »Deine Mama ist eine Heldin«, sagt Großmama.
    Blitz hat am Morgen nach dem Fest Onkel Heinrich gebissen, genau dorthin, wofür es keinen Namen gibt. Statt sich aufzuregen, hat Papa sein Gaudi gehabt. Auch jetzt, wenn er das an Mamas Bett wieder erzählt, amüsiert es ihn. Er habe ihn ja gewarnt, auf keinen Fall in die Küche zu gehen, »aber er hat es nicht geglaubt, und der Piffel hat als Mutprobe noch den Kühlschrank geöffnet …!« Papa streichelt Blitz, der an Mamas Bett sitzt, übers Fell, »die Küche ist dein Reich, gell, da gehören keine Fremden hin!«
    Die erste Zeit, während neue Haut über Mamas Hand wächst, spielt sie mit einem weißen Handschuh Tennis. Wir machen Fotos zur Erinnerung.
Ein Brief zerstört alles
    Die Sonntage, an denen wir Anton in Stans besuchen, sind mir verleidet. Sie laufen alle genau gleich ab. Zuerst regt sich Papa auf, weil Mama noch nicht fertig ist, und auf der Fahrt, weil die anderen blöd fahren. Dann muss Koni sich mindestens einmal erbrechen. Er kündet das zu spät an, was aber egal ist, aufs Kommando anhalten kann Papa sowieso nicht. »Soll ich etwa einen Unfall bauen!?« Jetzt stinkt es entsetzlich nach Kotze, und Mama macht Papa Vorwürfe. Auf dem Platz des Kollegiums steht Anton bei der Brunnenmauer, neben sich hat er den geflochtenen Koffer mit schmutziger Wäsche. Den verstauen wir im Auto. Bevor wir ins Restaurant können, wo es Raclettes à discrétion gibt, müssen wir mindestens eine Stunde lang spazieren. Auf der Heimfahrt reden die Eltern über meinen Bruder. Papa ist zufrieden, dass er gute Noten hat. Mama ist enttäuscht, dass er nicht herzlicher war.
    Und wenn wir zuhause sind, ist der Tag vorbei.
    »Muss ich wirklich wieder in die Ferienkolonie«, frage ich Mama beim Gutnachtsagen das hundertste Mal. Ich wende mich ohne Kuss von ihr ab.
    »Kaum passt dir etwas nicht, beginnst du einfach zu poffen!« Sie hat meinen Trotz »soo satt! Beschi Meitjiä hat niemand gern.« Ich soll mir ein Beispiel an Koni nehmen, den haben alle gern, der ist immer vergnügt.
    Die ersten Mietzinse sind eingegangen, deshalb darf sich jeder von uns etwas wünschen. »Also«, sagt Papa, »was soll es sein?« »Schlittschuhe. Nein, eine Gitarre! Ja, dann lerne ich das
Pferdehalfter an der Wand
auch auf der Gitarre!«
    »Und ich wünsche mir einen Transistorradio«, ruft Koni.
    Mama wünscht sich ein zum neuen Kleid passendes
Dior
-Foulard. »Und Anton«, erklärt sie Papa, »du weißt ja, der möchte seinen Karl May unbedingt in Leder.«
    »Tun’s denn die normalen Bücher nicht«, fragt Papa. Doch er öffnet schon das Portemonnaie und übergibt Mama ein paar Nötchen. Sie pfeift laut vor Verwunderung.
    »Du kannst ja pfeifen«, ruft Koni erstaunt.
    »Nur, wenn sie Geld bekommt …« Papa nimmt einen Schluck aus seinem Absinthglas und prostet Mama zu.
    »Gerda hat behauptet, Absinth sei verboten, stimmt das?«
    »Bloß für d Üsserschwizer.«
    »Könnten sie dich denn nicht bestrafen?«
    »Äch wa! Der Kantonschemiker ist ja Peter, ein Freund bestraft uns doch nicht!«
    Während Papa den Rest seiner Post öffnet, zieht sich Mama im Schlafzimmer um. Wir wollen Papa ihr elegantes Kleid vorführen, das ich mit auswählen durfte. Wie ein Mannequin sieht sie aus, als sie nun damit in den Salon kommt.
    »Und, Schpazzji, gefall ich dir?«
    Papa sieht völlig geistesabwesend auf und fixiert sofort wieder den Brief, den er in der Hand hält. Zittert sie? »Warum hast du mir nichts von diesem Einschreiben gesagt?!«
    »Ich hab es dir ja hingelegt.«
    »Da! Lies!«
    Mama liest den Brief, legt ihn auf den Tisch, nimmt ihn wieder, liest ein zweites Mal. »Hat der ein Anrecht auf Provision?« »Natürlich nicht, deshalb habe ich sie ja auch nicht bezahlt. Verdammter Gauner!«
    »Der kann dich doch nicht wirklich betreiben?«
    »Stell mir die Nummer von Heinrich ein. Aber gib mir den Hörer erst, wenn er dran ist. Ich mag nicht mit seiner Sankt Gallerin reden!«
    Papa bleibt lange am Telefon. Wir helfen Mama in der Küche beim Kochen.
    »Mariella hat geweint, als wir gestern vor der
Missione
ihr Gepäck ausgeladen haben, hast du’s auch gesehen? Dann ist aber ihr Maurizio gekommen, und beim Abschied hat sie mich gekitzelt und schon wieder gelacht.«
    »Jaja«, sagt Mama, »die Italiener können manchmal lachen und weinen in einem.«
    »Wenn ich groß bin, möchte ich einen Italiener heiraten!«
    »Hör bloß

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