Das Leben der Eltern ist das Buch, in dem die Kinder lesen
Cattolica
wird eine Stelle frei. Ich glaube, sie ist noch immer in den Gehilfen des Parroco, in diesen Maurizio verliebt.
Sobald Großmama schläft, husche ich in Mariellas Zimmer und beobachte aus ihrem Fenster, was drunten läuft. Ich habe gehört, wie einige mit lautem Hallo in den Keller gegangen sind. Offenbar haben sie sich in der Waschküche von unseren Kleiderhaufen Zeugs angezogen, Papas Unterhosen, Mamas Büstenhalter, Tennisleibchen und Shorts, Onkel Valentin kommt gar in Mamas Unterrock aus dem Haus … Alle laufen sie lachend und johlend durch den Garten, sie werfen einander ins Bassin. Jetzt suchen sie auf der Terrasse ein weiteres Opfer.
»Wo ist die Hausherrin«, ruft jemand. Es könnte die Stimme von Onkel Fred sein.
Mama flieht barfuß hinter die Kirschbäume. Jean stellt sich ihren Verfolgern in den Weg und wimmelt sie ab. Seine Frau ist heute auch mitgekommen. Vielleicht ist diese Hedwig gar nicht so eifersüchtig, wie Mama meint, sonst wäre sie beim Znacht doch neben ihrem eigenen Mann gesessen. Während sie sich vor dem Spiegel in der Halle die Lippen nachgeschminkt und sich etwas zurechtgemacht hat, hat sie sich ganz nett für mich interessiert. Die anderen Erwachsenen fragen ja bloß immer, in welche Klasse und ob ich gerne zur Schule gehe. Sie aber hat mich ein bisschen über unsere Jahre in Stein ausgefragt. Während sich Jean und Mama hinter den Kirschbäumen versteckt halten, trägt der muskulöse Onkel Lorenz Bethli zum Bassin; meine sportliche Mama springt gleich selber rein – samt ihrem hübschen Rock.
Großmama bleibt nach dem Fest ein paar Tage bei uns. Seit auch Tanta Isabella ausgezogen ist, fühlt sie sich in Bern einsam. Sie könne ja gleich bei uns einziehen, hat Papa gesagt. Ich hoffe, das war ein Scherz. Herr Ferrazzi wird nun auch Großmama porträtieren. Großpapa hängt schon goldgerahmt im Herrenzimmer.
»Und Sie«, sagt Papa zu Großmama, »werden den Platz neben Rembrandt und Saskia bekommen.«
»Zuerst muss das Haus wieder in Ordnung gebracht werden«, mehr ist nicht von ihr zu hören.
Kaum ist sie aus dem Zimmer, frage ich Papa, wer Saskia ist.
»Rembrandts Frau.«
»Das ist ein komischer Name, ich kenne überhaupt niemanden, der so heißt.«
»Wenn später mal ein Mann Saskia zu dir sagt, kannst du sicher sein, dass er in dich verliebt ist!«
»Warum?«
»Weil es Lotusblüte bedeutet, das ist eine der schönsten Blüten, die es gibt.«
»Hast du auch schon Lotusblüte zu einer Frau gesagt?«
Papa schmunzelt und schickt mich zu Großmama, die nach mir gerufen hat. Sie sucht eine Hilfe. Von den Verwandten, die übers Wochenende geblieben sind, ist viel Bettwäsche angefallen, »und die legen wir jetzt zusammen, das erspart Mariella Zeit beim Bügeln!« Durchs Kellerfenster höre ich, wie Papa aus der Garage fährt. Wenn der Motor so aufheult, ist er spät dran.
»Hoffentlich rast er nicht nach Grenchen«, sage ich zu Großmama, »Mama hat immer Angst, dass er durch seine Hetzerei auf der gefährlichen Schnellstraße mal einen Unfall hat.«
»Er will halt einfach pünktlich sein. Ja, die Pünktlichkeit deines Papas ist beispielhaft. Pünktlichkeit ist …«
»… die Höflichkeit der Könige, gell? Aber Mama ist nie pünktlich.«
»Von mir hat sie das sicher nicht. Ich bin lieber fünf Minuten zu früh als eine halbe Minute zu spät. Wirst sehen, ich werde noch zu früh in den Himmel kommen …« Großmama greift zum nächsten Leintuch.
»Kann mich nun Koni ablösen?«
Während sie mich verständnislos anschaut, hören wir aus dem Bügelzimmer einen furchtbaren Schrei. Ich renne hinüber: Mama steht gebückt da, hält die rechte Hand zwischen ihre Knie und weint laut. Mariella ist kreidebleich. Sie hat behauptet, das Eisen sei kaputt, es werde nicht mehr heiß, deshalb hat es Mama mit der flachen Hand kontrolliert. Jetzt laufen ihr Tränen über das Gesicht. »Es tut soo weh!«
Ich rufe Papa an, der telefoniert mit seinem Arzt-Freund vom Postweg, und der ist nach wenigen Minuten bei uns. Mama hat sich auf Großmamas Anraten unterdessen aufs Bett gelegt. Als der Doktor aus dem Schlafzimmer kommt, streicht er mir wie früher übers Haar, »Schätzchen, deine Mami hat das Schlimmste überstanden.« Er gibt Großmama ein paar Anweisungen, guckt noch einmal winkend ins Schlafzimmer – und schon sitzt er wieder in seinem Auto. Er fährt mit einem solchen Karacho weg, dass Großmama ihm kopfschüttelnd nachschaut.
Verbunden sieht Mamas Hand wie eine
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