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Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter de Bruyn
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Nachwelt wurden sie zwar geachtet, aber viele Leser fanden sie nicht. Die 40 Seiten des »Schulmeisterlein Wutz« dagegen, die erstmalig als Anhang zur »Unsichtbaren Loge« erschienen, wurden zu jeder Zeit viel gelesen, wodurch der Eindruck entstehen konnte, Jean Paul sei Autor der kleinbürgerlichen Beschränktheit gewesen, der das stille Glück im Winkel verherrlicht hat.
    Jeder Blick aufs Gesamtwerk zeigt die Unsinnigkeit dieser Behauptung. Der Entstehung des »Wutz« vorangegangen war die satirische Erzählung »Des Rektors Florian Fälbel und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelgebirge«, in der ein Lehrer vorgeführt wird, in dem sich Gelehrtenhochmut mit Pedanterie, Brutalität, Intoleranz und Untertanengeist mischt.
    Die französischen Revolutionäre sollten nach ihm wie die aufsässigen Sklaven von den Römern bestraft werden, nämlich mit dem Tod am Kreuz. Die Hinrichtung eines Soldaten, der sich nicht von seinem Fürsten zu Kriegsdiensten nach Amerika hatte verkaufen lassen wollen, begleitete er mit Scherzreden, um bei den Schülern kein Mitleid aufkommen zu lassen, das er nur den von ihm verachteten Frauen erlaubt. Besonders stolz aber ist er darauf, dass in der langen Geschichte seines Gymnasiums noch nie ein Aufruhr gegen den Landesvater vorgekommen ist.
    Um sich die Vielgestaltigkeit des Erzählers Jean Paul deutlich zu machen, muss man diesen satirisch gestalteten Schulmeister gegen den des immer vergnügten Wutz halten, in dessen Leben nicht mehr passiert, als dass er geboren wird, heiratet und stirbt. Da wird die kaum merkbare Satire von Humor überlagert, und kritisiert wird nicht der Schulmeister, sondern das Elend, dem Wutz sein Vergnügen abtrotzen muss. Und wenn der Erzähler am Grabe des Lehrers schwört, »ein so unbedeutendes Leben zu verachten, zu verdienen und zu genießen« , so wird dabei sowohl auf die Beschränktheit dieses Lebens, als auch seine Redlichkeit und den Mut des Trotzdem angespielt.
    Alle Leiden kann Wutz in der Hoffnung auf deren Ende ertragen. »Im fieberfrostigen Novemberwetter letzte er sich auf der Gasse mit der Vormalung des warmen Ofens und mit der närrischen Freude, dass er eine Hand um die andere unter seinem Mantel wie zu Hause stecken hatte. War der Tag gar zu toll und windig, … so war das Meisterlein so pfiffig, dass es sich unter das Wetter hinsetzte und sich nichts darum schor; es war nicht Ergebung, die das unvermeidliche Übel aufnimmt, nicht Abhärtung, die das ungefühlte trägt, nicht Philosophie, die das verdünnte verdauet oder Religion, die das belohnte verwindet: sondern der Gedanke ans warme Bett wars. Abends, dachte er, lieg ich auf alle Fälle, sie mögen mich den ganzen Tag zwicken und hetzen, wie sie wollen, unter meiner warmen Zudeck und drücke die Nase ruhig ans Kopfkissen, acht Stunden lang. – Und kroch er endlich in der letzten Stunde solchen Leidenstages unter sein Oberbett: so schüttelte er sich darin, krempte sich mit den Knien bis an den Nabel zusammen und sagte zu sich: Siehst du, Wutz, es ist doch vorbei.«
    Diese Anleitung zum Überleben in misslichen Situationen wird von einem Erzähler gegeben, der bei allem souveränen Darüberstehen nicht leugnet, dass er auch eignes Erlebnis in das Erzählte verwoben hat. Dieses verfremdete Erinnern, das in dem Wechsel von Distanzierung und Identifizierung immer wieder aufscheint, gibt der Erzählung ihre unnachahmliche, mit Wehmut und leiser Ironie getränkte Heiterkeit.
    Als »Vollglück in der Beschränkung« hat Jean Paul in seiner »Vorschule der Ästhetik« die Idylle definiert, den »Wutz« aber »eine Art Idylle« genannt und ihn damit gegen die üblichen Idyllen des 18. Jahrhunderts, die des Salomon Gessner zum Beispiel, abgegrenzt. In diesen lebten glückliche Hirten und Hirtinnen sorglos mit ihren Schafen und Ziegen, bliesen auf ihren Schalmeien und liebten sich in der schönen Natur. Der »Wutz« aber, wie auch Goethes »Hermann und Dorothea« und die »Luise« von Voß, die im letzten Jahrzehnt des Jahrhunderts entstanden, spielten nicht mehr im erträumten Irgendwann und Irgendwo unter unschuldigen Naturkindern, sondern unter Menschen und Zuständen der Gegenwart. Das Idyllische im »Wutz« ist nicht die natürliche und soziale Umwelt, die katastrophal ist, sondern nur des Schulmeisterleins Methode, sich in ihr zu behaupten und trotz allen Unbilden glücklich zu sein.

Abb.12: Titelblatt der ersten
Auflage des »Quintus Fixlein«

Abb.13: Titelblatt zur
»Geschichte

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