Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
besser machen zu können meinte, ihn für alle Zeit sitzen ließ.
Abb.16: Titelblatt der 1. Auflage
der »Unsichtbaren Loge«
Gute Leser Jean Pauls, die wie dieser mehr Wert auf die Innenwelten seiner Figuren als auf den Fortgang der Handlung legen, werden Teile dieses Romans voller unaufgelöster Knoten zu dem Besten zählen, was er geschrieben hat. Sie werden sich dabei zum Beispiel an die Szene erinnern, in der der unterirdisch erzogene Knabe erstmalig die Wonnen eines irdischen Tagesanbruchs erlebt. »Nun schlugen die hohen Wogen des lebendigen Meers über Gustav zusammen – mit stockendem Atem, mit erdrücktem Auge, mit überschütteter Seele steht er vor dem unübersehlichen Angesicht der Natur und hält sich zitternd fester an seinem Genius. Als er aber nach dem ersten Erstarren seinen Geist aufgeschlossen, aufgerissen hatte für diese Ströme – als er die tausend Arme fühlte, womit ihn die hohe Seele des Weltall an sich drückte – als er zu sehen vermochte das grüne taumelnde Blumenleben um sich und die nickenden Lilien, die lebendiger ihm erschienen als seine, und als er die zitternde Blume tot zu treten fürchtete – als sein wieder aufwärts geworfenes Auge in dem tiefen Himmel, der Öffnung der Unendlichkeit versank – und als er sich scheuete vor dem Herunterbrechen der herumziehenden schwarzroten Wolkengebirge und der über seinem Haupt schwimmenden Länder – als er die Berge wie neue Erden auf unserer liegen sah – und als ihn umrang da s unendliche Leben, das gefiederte neben der Wolke fliegende Leben, das summende Leben zu seinen Füßen, das goldne kriechende Leben auf allen Blättern, die lebendigen, auf ihn winkenden Arme und Häupter der Riesenbäume – und als der Morgenwind ihm der große Atem eines kommenden Genius schien und als die flatternde Laube sprach und der Apfelbaum seine Wange mit einem kalten Blatt bewarf – als endlich sein belastet-gehendes Auge sich auf den weißen Flügeln eines Sommervogels tragen ließ, der ungehört und einsam über bunte Blumen wogte und ans breite grüne Blatt sich wie eine Ohrrose versilbernd hing …: so fing der Himmel an zu brennen, der entflohenen Nacht loderte der nachschleifende Saum ihres Mantels weg, und auf dem Rand der Erde lag, wie eine vom göttlichen Throne niedergesunkene Krone Gottes, die Sonne.«
Hundsposttage
In Jean Pauls Erfolgsroman »Hesperus oder fünfundvierzig Hundsposttage« haben Fachleute neben Selbsterlebtem natürlich auch viele Einflüsse aus anderer Literatur entdecken können, nie aber angezweifelt, dass daraus ein völlig eigenständiges Werk entstanden ist. So hat nachgewiesen werden können, dass der Autor formal viel von Laurence Sterne und Theodor von Hippel gelernt hatte und dass mancher Charakter Fielding und Smollett, Wieland, Rousseau und auch Georg Forsters Übersetzung von Kalidasas »Sakontala« nachempfunden worden war. Mehr aber noch war der anonym erschienene 1500-Seiten-Roman »Dya-Na-Sore oder die Wanderer. Eine Geschichte aus dem Sam-skritt übersezt« für ihn wichtig gewesen, weil in ihm von einer Revolution erzählt wird, die zwar in exotischer Verkleidung auftritt, aber Gegenwärtiges meint. Der ungenannte Autor dieses zu lang geratenen, in abgehackten Sätzen geschriebenen Romans hieß Wilhelm Friedrich von Meyern, war gebürtiger Franke und diente in Österreich als Offizier. Die Handlung seines Romans ist im Irgendwann und Irgendwo angesiedelt, vielleicht im tibetischen oder indischen Altertum. Während das Volk unter einer tyrannischen Herrschaft leidet, erzieht ein Vater seine vier Söhne zu Republikanern und schickt sie mit dem Auftrag, den Tyrannen zu stürzen, hinaus in die Welt. Mit Hilfe eine Geheimbundes können die Söhne ihren Auftrag erfüllen, also das Land vom Tyrannen befreien und einen Idealstaat gründen, der uns heute als militaristisch-totalitär erscheint. In ihm gibt es zwar eine Verfassung und eine Volksvertretung, aber das Wahlrecht haben nur die Besitzenden, die Jünglinge werden zwangsweise auf Ordensburgen zu Kriegern erzogen, und auch bei den Tugenden, die unaufhörlich gepredigt werden, handelt es sich vorwiegend um kriegerische. Frauen kommen in dem Roman kaum vor.
Abb.17: Titelblatt
der 1. Auflage des »Hesperus«
Da Jean Paul die Handlung des »Hesperus« aus dem exotischen Nirgendwo in das gegenwärtige Deutschland verlegte, konnte er den utopischen Staat, in den bei Meyern die Revolution mündet, beiseitelassen und sich mit
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