Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Dogmen angezweifelt und auf der Suche nach Wahrheit die Theologie und Philosophie der Aufklärung durchstudiert hatte, war zeitweilig nahe daran gewesen, seinen vom Rationalismus gefärbten christlichen Glauben dem Atheismus zu opfern, war aber vor der Vorstellung einer gottlosen Welt, die ihn wahnsinnig zu machen drohte, immer wieder zurückgeschreckt. Erst die Todesvision scheint den Kampf der Vernunft gegen den tröstenden Glauben zugunsten des Letzteren beendet zu haben, und da dieser Sieg über das Grauen vor einer gottlosen und damit auch sinnlosen Welt nach Gestaltung verlangte, entstand seine Schreckensvision der Gottlosigkeit, die den Titel führt: »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, dass kein Gott sei«.
In diesem sprachmächtigen kleinen Werk, das später weltbekannt wurde, wird eindringlich der Schrecken des Atheismus beschworen und dem Trost des Glaubens gegenübergestellt. Während da Nebel den sonnenlosen Himmel verhüllen, ziffern- und zeigerlose Uhren vom Ende der Zeiten künden und sich Augenlider vor leeren Augenhöhlen heben, lassen Misstöne die Erde schwanken und ein Chaos entstehen, in dem Christus den Toten, die angstvoll nach Gott rufen, antwortet, dass keiner sei. »Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels, aber es ist kein Gott. … Starres, stummes Nichts! Kalte, ewige Notwendigkeit! … Wie ist jeder so allein in der weiten Leichengruft des All!« Aber wenn dann das Weltall zermalmt wird und ein Glockenhammer die letzte Stunde der Zeit schlägt, wird der Albtraum dadurch beendet, dass der Erzähler erwacht. »Meine Seele weinte vor Freude, dass sie wieder Gott anbeten konnte. … Und als ich aufstand, glimmte die Sonne tiefer hinter den vollen purpurnen Kornähren … und zwischen dem Himmel und der Erde streckte eine frohe vergängliche Welt ihre kurzen Flügel aus und lebte, wie ich, vor dem unendlichen Vater, und von der ganzen Natur um mich flossen friedliche Töne aus wie von fernen Abendglocken«.
Abb.11: »Die Rede des toten Christus vom Weltgebäude IV«. Collage von Karlheinz Bauer
Und diesen Glauben konnte sich Richter, der jetzt bald zu Jean Paul wurde, immer bewahren, obwohl er sein Leben lang Vertreter der Aufklärung blieb. Mit dem Halt, den er durch die Rückkehr zum Glauben an Gott und die Unsterblichkeit gefunden hatte, war auch das Erwachen seiner dichterischen Kräfte verbunden, mit denen er nun statt der »satirischen Giftblasen und Giftstacheln« Erzählungen von den Leiden und Freuden seiner Mitmenschen schuf. »Ein ganzes horazisches Jahrneun hindurch« , schrieb er rückblickend 1821, »wurde des Jünglings Herz von der Satire zugesperrt und musste alles verschlossen sehen, was in ihm selig war und schlug, was wogte und liebte und weinte. Als es sich nun endlich im achtundzwanzigsten Jahre öffnen und lüften durfte: da ergoss es sich leicht und mild wie eine warme überschwellende Wolke unter der Sonne – ich brauchte nur zuzulassen und dem Fließen zuzusehen – und kein Gedanke kam nackt, sondern jeder brachte sein Wort mit und stand in seinem richtigen Wuchse da ohne die Schere der Kunst.«
Einige Wochen nach der Todesvision, im Dezember 1790, begann dieses von Gefühlen gesättigte Fließen und formte sich unter Verwendung von Kindheitserinnerungen zu einer Erzählung, deren Anfangssätze so schön sind, dass man sie auswendig lernen sollte wie ein Gedicht. »Wie war dein Leben und Sterben so sanft und meerstille, du vergnügtes Schulmeisterlein Wutz! Der stille laue Himmel eines Nachsommer ging nicht mit Gewölk, sondern mit Duft um dein Leben herum: deine Epochen waren die Schwankungen und dein Sterben war das Umlegen einer Lilie, deren Blätter auf stehende Blumen flattern – und schon außer dem Grabe schliefest du sanft.«
Drei Wege
Während sich der erfolglose Satiriker, von der knappen Besoldung als Winkelschullehrer lebend, zum Erzähler von ausgeprägter Eigenart wandelte, war in Frankreich die Revolution ausgebrochen und hatte das politische und geistige Europa in Unruhe gebracht. Auch in Hof und Umgebung, wo Richter und sein Freund Christian Otto in regem Austausch miteinander und mit einigen jungen Frauen standen, wird man die Pariser Ereignisse mit Interesse verfolgt und in Gesprächen kommentiert haben, doch lässt sich das nicht belegen, denn in dem recht gut erhaltenen Briefwechsel der Freunde und Freundinnen steht jahrelang darüber kein Wort.
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