Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Schwester ich seit wenigen Wochen verlobt bin und in kurzem auf immer verbunden seyn werde. – Der Wutz’ Geschichte verfasst hat, ist nicht sterblich. Wir werden und müssen uns bald sehen! – Ihnen sind hier mehr Herzen eröffnet als Sie wissen und glauben!«
Abb.15: Brief von Karl Philipp Moritz
an Jean Paul vom 19. Juni 1792
Mit diesem Geldsegen, den der überglückliche Richter gleich nach Hof brachte, um ihn mit der Mutter zu teilen, war nach einem Jahr harter Arbeit an dem Roman von fast 400 Seiten die Zeit härtester Not für die Familie vorbei. In den Roman waren, wie es nicht anders sein konnte, viele Züge aus des Autors innerem und äußerem Leben eingegangen; seine Freunde und Freundinnen waren zu Vorbildern mancher Gestalten geworden, und die Landschaften seiner Heimat, die er noch mehrfach für seine Geschichten benutzen sollte, bildeten in poetischer Erhöhung den Hintergrund einer phantastischen und verrätselten Handlung, die hinter den ausufernden Schilderungen der Innenwelten der Helden manchmal verlorenzugehen droht. Man hat den Eindruck, dass die vielen miteinander verknoteten Handlungsfäden vom Verfasser selbst nicht mehr zu entwirren waren und der Roman auch deshalb eine, wenn auch schöne, Ruine blieb.
Für diesen Roman, dem offensichtlich ein fester Plan nicht zugrunde gelegen hatte, einen Titel zu finden, war nicht leicht gewesen. Seinem Freund Christian Otto hatte Richter schon viele Titelvorschläge wie beispielsweise »Hohe Oper« oder »Markgrafenpulver«, »Abendstern« oder »Galgenpate« zur Beurteilung zukommen lassen, bis er schließlich auf »Die unsichtbare Loge oder die grüne Nachtleiche ohne den 9ten Nussknacker« verfiel. Er folgte damit einer in der Unterhaltungsliteratur beliebten Werbemethode, die den Titel vor allem als Lockmittel für Buchkäufer nutzte, ob er zu dem Buche nun passte oder nicht. Auch der utopische Staatsroman von Wilhelm Friedrich von Meyern, der Jean Pauls »Hesperus« stark beeinflussen sollte, war nach dem gleichen Rezept mit »Dya-Na-Sore« betitelt worden, ohne dass der Leser in dem umfangreichen Roman je erfährt, was das bedeuten soll.
Auch Richter wusste nicht, was die Nachtleiche und der Nussknacker bedeuten sollten, wollte sich in der Vorrede, die zu keinem seiner Bücher fehlen durfte, dazu noch etwas einfallen lassen, ließ den Untertitel dann aber wieder fallen, nannte den Roman nur »Die unsichtbare Loge, eine Lebensbeschreibung« und setzte, um noch mehr Geheimnisvolles anzudeuten, als Untertitel »Mumien« hinzu. Dass aber weder die Loge noch die Mumien im Roman eine Rolle spielen, ist wohl nur dem Umstand anzulasten, dass die »Lebensbeschreibung« nicht bis zum Ende erzählt worden ist.
Mit dem ersten Roman und dem angehängten »Wutz« zusammen wurde auch der Name geboren, unter dem sein Verfasser in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Er wählte dazu die französische Form seiner Vornamen Johannes und Paul, und es ist anzunehmen, dass bei dieser Namensgebung auch der von ihm sehr geschätzte Philosoph und Pädagoge Jean-Jacques Rousseau eine Rolle spielte, dessen Bildungsideale und Erziehungsmethoden in die »Unsichtbare Loge« eingegangen sind. Rousseaus Annahme, dass der Mensch an sich gut sei, aber von der verdorbenen Gesellschaft verdorben werde, weshalb der Erzieher das Kind von ihr möglichst isolieren müsse, hat Jean Paul in seinem ersten Roman zu der phantastischen Bildungsgeschichte des Knaben Gustav verleitet, der in engem Kontakt mit seinem Erzieher, einem Genius genannten Lehrer der Herrnhuter Gemeinde, aber völlig isoliert von anderen Menschen unterirdisch aufwächst, bis die humanistisch-christlichen Ideale so fest in ihm haften, dass er, ohne charakterlich Schaden zu nehmen, in die Welt mit ihren moralischen Fallstricken geschickt werden kann. In dieser soll er sich nicht der Gesellschaft anpassen, sondern im Sinne der ihm vermittelten Tugendlehre wirken, die Verhältnisse also zu verändern versuchen, aber so weit bringt es der stark seinem Autor ähnelnde Gustav in dieser abschlusslosen Bildungsgeschichte nicht. Er darf nur nach seiner herrlich geschilderten Auferstehung aus seinem unterirdischen Dasein die Idylle einer dörflichen Kindheit mit erster Liebe erleben, die Zwänge einer Kadettenanstalt erdulden und den sittlichen Versuchungen eines Fürstenhofes erliegen, um schließlich als Mitglied einer geheimen Gesellschaft im Gefängnis zu landen, in dem der Autor, der es im nächsten Roman
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