Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
»Siebenkäs« wurde, während man die anderen, die in schneller Folge entstanden, mit seinem eignen Ausdruck als »literarische Nebengeburten« bezeichnen kann. 1796 erschienen neben dem »Siebenkäs« auch die »Biographischen Belustigungen unter der Gehirnschale einer Riesin«, 1797 der »Jubelsenior«, der in Stoff und Form dem »Wutz« und dem »Fixlein« ähnelte, deren Qualität aber nicht erreichte, und im gleichen Jahr auch noch die philosophische Erzählung »Das Kampaner Tal«. Im Jahr darauf erschienen unter dem Titel »Palingenesien« alte und neue Satiren und 1799 das Bändchen »Briefe und bevorstehender Lebenslauf«, das Rosinettes wegen schon erwähnt worden ist. Auch wenn man bedenkt, dass diese Titeldichte nur durch die Verwertung älterer Arbeiten möglich wurde, bleibt die Leistung, die hier und da freilich auch die Qualität minderte, bewundernswert. Nimmt man hinzu, dass Jean Paul in diesen Jahren auch noch mehrfach reiste, seine Wohnorte wechselte und seine Korrespondenz mit Verlegern, Freunden, Schriftstellerkollegen und Frauen erweiterte, ist kaum zu glauben, wie das einem einzelnen Menschen möglich war. Allein die etwa 200 Briefe jährlich, zu denen meist erst Konzepte verfertigt wurden, hätten die Arbeitszeit eines anderen Schreibers schon ausgefüllt.
Eine der Frauen, die ihn zeitweilig beschäftigten, war die Schriftstellerin Emilie von Berlepsch, eine Geborene von Oppel aus Gotha, die als Siebzehnjährige geheiratet hatte und Mutter von drei Kindern war. Zu dieser Zeit lebte sie aber schon von ihrem Mann getrennt. Sie war in literarischen Kreisen vor allem durch Gedichte bekannt geworden, erlangte später aber nach erneuter Heirat und einem längeren Aufenthalt in England als Reiseschriftstellerin und Frauenrechtlerin Bedeutung. Als sie im Sommer 1797 in Franzensbad weilte und von dort aus nach brieflicher Ankündigung Jean Paul besuchte, hatte die üppige Zweiundvierzigjährige ihre Scheidung schon zwei Jahre hinter sich.
Abb.25: Ansicht von Franzensbad 1799.
Kupferstich von Karl Eduard Hoser
»Ich wollte, die Berlepsch bliebe einen Abend hier« , schrieb Jean Paul an den Freund Friedrich von Oerthel. »Ich weiß im voraus, sie wird mich zu sehr einnehmen. Das doppelte Lesegeld gäb ich darum, hätt’ ich nur eines ihrer Werke gelesen oder wüsste die Titelblätter auswendig« . Aber auch ohne die Kenntnis ihrer damals noch nicht zahlreichen Werke verstanden beide einander und verabredeten ein baldiges Wiedersehen. »Die Berlepsch« , schrieb er an Oerthel, »deren Lob ich erspare, will mich im August nach Leipzig mitnehmen: sie ist moralischer und schöner als die Krüdener und Kalb, aber nicht so genialisch« – was aber in seinen Augen ein weiterer Vorzug war.
Er war so sehr von ihr eingenommen, dass er ihr trotz schwerer Krankheit seiner Mutter nach Franzensbad folgte, auf die Nachricht vom Tod der Mutter aber wieder nach Hause eilte, um schon eine Woche nach dem Begräbnis wieder für einige Tage bei ihr zu sein. Als sie ihn dann auf dem Rückweg wieder in Hof besuchte, stand seine Entscheidung, wie sie nach Leipzig überzusiedeln, wahrscheinlich schon fest. Neben der Frau von Berlepsch reizte ihn auch die Welt der Gebildeten, in der sie sich in Leipzig bewegte, und da er jetzt in Hof die Mutter, die ihm den Haushalt geführt hatte, vermissen musste und Samuel, sein jüngerer Bruder, in Leipzig sein Studium beginnen sollte, gab es Gründe genug, aus Hof wegzugehen. Sein Leipziger Verleger Johann Gottlob Beygang, der seinen »Jubelsenior« herausbrachte, wurde gebeten, eine billige Mietwohnung für die Brüder zu suchen, »womöglich außerhalb der Stadt« mit zwei Zimmern, deren Möbel »unbedeutend sein können« , und zwei Bettstellen »für die mitkommenden Betten«. »Das größere Zimmer, worin ich arbeite, darf an kein fremdes lärmendes anstoßen. Es kann 3 Treppen hoch sein«. Am 2. November 1797 brachen die Brüder, mit Bettzeug, Büchern und Aufzeichnungen beladen, nach Leipzig auf.
Dort wohnten sie erst bei einem Kunsthändler in der Peterstraße 32, dann bei einem Buchbinder direkt neben der Nikolaikirche, und wie in allen seinen künftigen Behausungen waren die wichtigsten Möbel das Brettergestell mit den Exzerpten und der Arbeitstisch. Sein Vorsatz, im fleißigen Schreiben nicht nachzulassen, war in der geschäftigen Stadt mit ihren Theatern und Konzerten besonders während der Messen kaum einzuhalten, und auch die täglich zahlreicher werdenden
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