Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
dazu bringen wird, mit eignen Werken eine große Bibliothek wie die sagenhafte von Alexandria zu füllen, wird verwunden. Kinder sind da, vor allem aber die Frau nach Wunsch, die, seiner Mutter Rosina gedenkend, Rosinette heißt und nicht gelehrt sein soll, sondern herzensgut. Voll munterer Laune soll sie sein, soll leicht lachen, leicht erröten und leicht weinen, und zu allen Wesen soll sie milde sein. Ein offenes Auge »für den Zauberpalast des Lebens und der Natur« solle sie haben. Des Mannes Freunde soll sie gern haben und hausfraulich für sie sorgen, wenn sie kommen. »So sind die guten Weiber; die weiblichen Kraftgenies hingegen sind wie wir.«
Natürlich aber soll Rosinette auch Jean Pauls Bücher gern lesen. Am Hochzeitstage lesen sie gemeinsam »Jean Pauls Briefe und bevorstehender Lebenslauf«, bis er ihr »gerührt von der leuchtenden Liebe, ernst an das fromme Herz fällt« .
Simultanliebe
Die Frauen, die den Autor des »Hesperus« mehr oder weniger deutlich umwarben, konnten sich zeitweilig zwar Hoffnungen machen, weil der davon Geschmeichelte metaphernreiche Liebesworte für jede hatte, mussten am Ende aber doch erfolglos bleiben, weil keine von ihnen dem Traumbild der Rosinette glich. Die Reize dieser Damen, die auch in Bildung, Weltkenntnis, Reichtum oder einem adligen Namen bestanden, kamen gegen die eines jungen, unschuldigen Mädchens, das nur in der Sehnsucht existierte, nicht an. Zwar ließ der Umworbene sich einmal zu einem Eheversprechen, einmal sogar zu einer offiziellen Verlobung verleiten, schreckte aber in beiden Fällen rechtzeitig vor der Bindung zurück. Keine dieser Liebeleien, die zu großen Teilen brieflich ausgetragen wurden, führte zu einer ernsthaften Liebesbeziehung, und da sie teilweise gleichzeitig verliefen, erfand er für sie die »Simultan- oder Tuttiliebe« , die er im »Hesperus« als »Gesamt- oder Zugleichliebe« oder auch »Universalliebe« bezeichnet, die der Erzähler aber als eine kümmerliche Vorform der wahren Liebe, nämlich der zu einem bestimmten weiblichen Wesen erkennt. Wenn eine solche sich in seinen Werken ereignet, wird die Darstellung ihrer seelischen Freuden und Leiden hymnisch, ihre sinnlichen Aspekte aber, die bei ihm immer negativ besetzt sind, klammert er aus. »Der stärkste Einwand gegen die Ausmalerei sinnlicher Liebe« , heißt es in seiner »Vorschule der Ästhetik«, »ist kein sittlicher, sondern ein poetischer. Es gibt nämlich zwei Empfindungen, welche keinen reinen freien Kunstgenuss zulassen, weil sie aus dem Gemälde in den Zuschauer hinabsteigen und das Anschauen in Leiden verkehren, nämlich die des Ekels und die der sinnlichen Liebe.« Und in seiner umfangreichen Sammlung von Gedankensplittern findet sich auch die Bemerkung: »Ich wollte, der Teufel holte den sogenannten Geschlechtstrieb: er macht den besten Menschen an sich irre, und er denkt nicht an das Gute in sich selber.«
Dass Jean Paul Sinnlichkeit zu den negativen menschlichen Empfindungen rechnete und deren Darstellung in seinen Werken immer zu vermeiden wusste, war wohl in erster Linie auf den strengen Protestantismus seines Elternhauses zurückzuführen, dem Sexualität nur in der Ehe und auch in dieser nur zum Zwecke der Zeugung als nicht sündhaft galt. Die andere Quelle, aus der seine antisexuellen Ansichten sich speisten, war seine gelebte Bürgerlichkeit. So wie Pietismus und Empfindsamkeit als bürgerliche Bewegung gegen die Amoralität der aristokratischen Kreise wirkten, hatten Jean Pauls tugendhafte und gefühlsstarke Gestalten einen antifeudalen Zug. Ausschweifung war Sache der Aristokraten, Tugend und seelische Differenziertheit die der Bürger, denen jeder Höfling als Lüstling galt.
Jean Paul selbst soll, wie sein Neffe Spazier behauptet hat, seine ersten sexuellen Erfahrungen erst in der mit 38 Jahren geschlossenen Ehe gemacht haben, und Anlass zum Zweifel daran gibt es nicht. Aber auch die Vermutung des Novalis, in einem Briefe an Caroline Schlegel, dass sich hinter dem empfindsamen Tugendschwärmer »ein geborener voluptuoso«, also ein Wollüstling, verberge, ist nicht von der Hand zu weisen, denn an Sinnlichkeit fehlte es ihm nicht. Er liebte das Umarmen und Küssen, ließ es aber weiter nicht kommen, und zwar nicht nur, weil er Sünde und Bindung scheute, sondern mehr noch, weil er als Autor die Wirklichkeit der Liebe zu fürchten hatte; denn nicht diese war ihm Antrieb zum Schreiben, sondern die Sehnsucht nach ihr. Die Jünglingsgefühle, die
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