Das Leben des Jean Paul Friedrich Richter: Eine Biographie (German Edition)
Einkräftigkeit des nur auf Kunst und Intellekt bedachten Genies entgegensetzt. Anstelle von Goethes unpolitischem Bildungsbürger setzt Jean Paul den politischen Menschen, der zur Verbesserung der bestehenden Verhältnisse beitragen soll. Wenn die gar zu blass geratene Idealgestalt der Prinzessin Idoine gegen Schluss des Romans zum Haupthelden Albano sagt: »Ernste Tätigkeit, glauben Sie mir, söhnet zuletzt immer mit dem Leben aus« , so klingt das zwar sehr nach Goethe, ist aber als Bekräftigung von Albanos Absicht, in die französische Revolutionsarmee einzutreten, anders gemeint. Albano jedoch, der mehr als mit den politischen Geschäften mit seinem Seelenleben und seinen Liebesgeschichten beschäftigt ist, geht nicht zu den Revolutionstruppen, er besteigt vielmehr einen Thron.
Da der Roman sich fast ausschließlich in Aristokratenkreisen deutscher Kleinstaaten bewegt, die sein Autor zwar besichtigt hatte, in denen er aber nicht zu Hause war, gerieten ihm seine positiven Hauptakteure oft weniger überzeugend als manche der Nebenfiguren, die an ihrer Einkräftigkeit zugrunde gehen. Die an Trivialromane erinnernde dynastische Intrige, die sich so ähnlich 75 Jahre vorher in Ansbach-Bayreuth abgespielt hatte, war für die Jahre der Französischen Revolution, in denen der Roman spielt, nicht so recht passend, so dass er 1803, als sein letzter Band der Öffentlichkeit bekannt wurde, schon veraltet wirkte, denn die Tage der deutschen Kleinstaatfürsten waren zu dieser Zeit schon gezählt. Auch passt das Bildungsideal des tätigen Menschen nicht recht zum Verlauf der fast undurchschaubaren Handlung, die Albano, ohne dass ihm ein Handeln vergönnt wird, nur zum Spielball höherer Mächte macht. Dem Zwang der intriganten Verwicklungen folgend, bleibt sein Entschluss, nach Frankreich aufzubrechen, deshalb ohne Folgen, weil er von seiner Inthronisierung zum Fürsten der beiden sich befehdenden Ländchen Hohenfließ und Haarhaar erfährt. Ohne dass der Verfasser oder sein Held noch ein Wort über das Aufgeben seiner revolutionären Ziele verlieren, tritt er, der eben noch bereit war, den feudalistischen Staat zu bekriegen, nach hastiger Verlobung mit der reformfreudigen Prinzessin Idoine sein Amt als Herrscher in einem solchen an. Das Happy End kann also weder als realistisch noch als republikanisch bezeichnet werden, nimmt aber andeutungsweise Reformen, die etwa ein Jahrzehnt später nicht nur in Preußen durchgeführt werden, vorweg. Es zeigt allerdings auch, dass der Verfasser die girondistische Phase der Revolution in Frankreich noch immer bejahte, denn bevor die Jakobiner die Macht an sich reißen und den blutigen Terror beginnen lassen, schließt der Roman. Was aber Jean Paul über die Jakobiner dachte, kann man in seiner 1801 erschienenen Schrift »Über Charlotte Corday« nachlesen, wo er die Girondisten als die »letzten Republikaner« bezeichnet und ihm die »blutrünstige Bergpartei« nicht als Verteidigerin, sondern als Zerstörerin der Freiheit erscheint.
Gemessen an der »Unsichtbaren Loge« und dem »Hesperus«, den beiden anderen auf höherer gesellschaftlicher Ebene spielenden, oft heroisch genannten Romanen, ist der »Titan« harmonischer geraten, weil die Sprache gebändigter ist, die Natur- und Gefühlsschwelgereien sich in Grenzen halten und die Satiren, die auch hier nicht fehlen, die Handlung nicht mehr unterbrechen, sondern in den »Komischen Anhang« verlagert sind. Was aber die vier Bände des »Titan«, aller Schwächen und Längen ungeachtet, so lesenswert macht, ist die Kunst der Charakterisierung, die Jean Paul hier bei einigen seiner Gestalten großartig gelungen ist.
Da gibt es Albanos erste Liebe Liane, die nicht nur unter der Despotie ihres Vaters, des Ministers, sondern auch an übersteigerter Sensibilität leidet, und eine Linda, die wie Charlotte von Kalb halbblind ist, in Zitaten aus ihren Briefen redet und sich als so emanzipiert zeigt, dass sie die Ehe ablehnt und sich ohne deren Legitimation dem Geliebten hingibt, was dann ihren Untergang bewirkt. Denn der Mann, der sich schließlich der Nachtblinden bemächtigt, ist nicht Albano, der Sonnengott oder Titan (mit Betonung der ersten Silbe), sondern sein Freund und Feind, einer der Himmelsstürmer oder Titanen (mit Betonung der zweiten Silbe), die nach Jean Paul alle ihre Hölle finden, und zwar der böseste von ihnen, Roquairol, die faszinierendste Gestalt des Romans. Gegen ihn kann der gute Albano nicht ankommen. Roquairol darf
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