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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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Dana, wenn deine bessere Hälfte Rührei zum Frühstück will, und du hast keine Lust, mit einer Gabel und einer Schüssel herumzufuhrwerken, und holst dein Rühreigerät raus, dann kannst du an deinen guten alten Paps denken.«
    »Wir werden an George denken, wenn die Schecks wieder an Herrn War-zuerst-da gehen«, gab Ray von sich. Er saß an dem Spieltisch, der uns als Esstisch diente, wenn George nicht gerade zuhause war und ihn für seine Papiere benutzte. »Was nützt es einem, gute Ideen zu haben, wenn man nie Geld dafür sieht?«
    Mich beschäftigte eher dieses Bild, dass mein Vater mich mit einem Ehemann sah, für den ich Rühreier braten sollte. Ich wusste damals schon, dass ich niemals heiraten würde. Jedenfalls keinen Mann. Aber darüber sprach ich ebenso wenig wie über vieles andere.
    »Das ist dein Problem im Leben, Ray«, entgegnete George. »Du misst Erfolge nur mit Dollarzeichen, einen anderen Blickwinkel kennst du offenbar nicht.«
    Das traf nicht einmal damals zu, und später kannte ich kaum einen Menschen, der sich weniger für Geld interessierte als Ray. Zeitweilig lebte er, soweit ich weiß, nahezu in einem Kühlschrankkarton. Damals allerdings hatte er noch vor, aufs College zu gehen. Er hätte wie ich drei Jobs zugleich haben können, um das Geld zusammenzusparen, aber Ray war nicht der Typ, der sich für etwas ins Zeug legte. Vielleicht ist das eben so, wenn man hübsch, klug, witzig und einnehmend ist. Wenn einem das Gute dann nicht zufällt, bemüht man sich auch nicht darum. Oder gibt anderen die Schuld, wenn etwas nicht so läuft, wie man sich das wünscht. Ich hingegen erkannte schon früh, dass ich mir alles hart erarbeiten muss.
    Ray hatte Talent für vieles, unter anderem für Basketball. Mit eins neunundachtzig galt man damals als groß, und im Gegensatz zu vielen anderen großen Menschen bewegte sich Ray auch schnell und elegant. An jedem neuen Wohnort war er im Nu der Center und auch der Star der Basketball-Mannschaft. Was unsere Eltern allerdings auch nicht dazu bewegen konnte, sich mal ein Spiel anzuschauen. Basketball sei nicht ihr Ding, meinten sie.
    Irgendwann mitten in der Saison hörte Ray dann immer mit dem Training auf. Der Trainer verwarnte ihn, und wenn das nichts nützte, folgte gleich die nächste Verwarnung.
    »Meinst du nicht, du solltest jetzt lieber trainieren?«, fragte ich Ray eines Nachmittags, als er zuhause auftauchte, obwohl er eigentlich bei seiner Mannschaft sein sollte.
    »Die brauchen mich doch«, erwiderte er und lachte. »Die werden schon nicht ihren besten Spieler rausschmeißen, nur weil ich keine Lust habe, an einem zauberhaften Nachmittag Würfe zu üben, die ich im Schlaf kann.«
    An diesem Freitagabend stand ein großes Spiel gegen den härtesten Gegner an. Obwohl Winter war und es unter null Grad hatte, chauffierten George und Val uns nie irgendwohin, weshalb Ray und ich mit seinem Rad zu dem Spiel fuhren. Ich saß auf dem Gepäckträger und hielt seine Sporttasche fest. Ich verehrte meinen Bruder so sehr, dass ich noch eher zu einem Spiel gejoggt wäre, anstatt es zu versäumen.
    Als wir die Schule erreichten, betrat ich das Gebäude durch den Vordereingang, während Ray hinten zu den Umkleideräumen ging. Ich suchte mir einen Platz auf der Tribüne. Neben mir saßen ein paar Mädchen in Rays Alter.
    »Mein Bruder ist der Center der einen Mannschaft«, sagte ich. »Ihr kennt ihn bestimmt. Ray Dickerson.« Ich war stolz, als ich seinen Namen aussprach.
    Ein paar Minuten später kam Ray aus der Umkleide, in seinen normalen Kleidern, die Sporttasche in der Hand.
    »Komm, Schwesterchen«, sagte er. »Wir hauen hier ab.«
    Zu oft das Training versäumt, hatte der Trainer gesagt. Aus der Mannschaft ausgeschlossen.
    »Wart’s nur ab, die werden haushoch verlieren«, sagte Ray. Wir blieben allerdings nicht mehr lange genug, um das mitzuerleben.

Ruth
    Die alte Form von Landwirtschaft
    W ährend ich auf der Highschool war, sahen wir Dickersons nur selten.
    Zu Weihnachten bekamen wir keine Post mehr von Val, und da meine Mutter keine gültige Adresse hatte, konnte sie auch ihren Weihnachtsbrief und die gehäkelten Topflappen nicht verschicken.
    Doch sonderbarerweise fand ich nun das Schweigen meiner Mutter über dieses Thema noch beunruhigender als ihre jahrelange Beschäftigung mit Dana, die mir so unangenehm gewesen war. Seit ich denken konnte, hatte es diese Person gegeben, die meine Mutter als meine »Geburtstagsschwester« bezeichnet hatte, und

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