Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)
legte er mir seine Pläne konkreter dar. Zum einen sei es jetzt an der Zeit für Sex. Zum anderen, Pläne für die Zukunft zu schmieden.
»Ich hab nachgedacht«, verkündete er. »Du könntest Mrs Victor Patucci werden.«
Es gab zahlreiche Gründe, warum ich nicht die Absicht hatte, mein künftiges Leben mit jemandem zu verbringen, dessen Vorstellung von Vergnügen darin bestand, zum Hunderennen zu gehen. Also erklärte ich Victor die Erblinie der Planks. Unser Land und das Farmhaus wurden immer an den ältesten Sohn weitervererbt. Da es keinen Sohn gab, würde wohl meine älteste Schwester, Naomi, die mit einem Mann namens Albert verlobt war, das Anwesen bekommen. Und wenn sie das Erbe nicht antreten wollte, waren dennoch meine drei anderen Schwestern und deren künftige Ehemänner vor mir erbberechtigt.
Das hatte Victor natürlich bedacht. Wie er richtig beobachtet hatte, wollte Albert eigentlich als Sportlehrer arbeiten, nachdem er widerstrebend seinen ursprünglichen und unrealistischen Wunsch, Profi-Basketballer zu werden, aufgegeben hatte. Und Sarah war mit einem jungen Mann namens Jeffrey zusammen, für den der Beruf des Landwirts ebenfalls nicht infrage kam: Jeffrey hatte ein stark verkürztes Bein, studierte Rechnungswesen und hatte den folgenschweren Fehler begangen, bei seinem bisher einzigen Besuch bei uns zu verkünden, dass er gerne lange schlief, am liebsten bis mittags.
»Deine Familie wird hier einen fähigen Mann brauchen«, betonte Victor. »Von mir aus können wir den Namen der Farm auch erst mal unverändert lassen. Aber wenn wir dann einen Sohn haben, an den wir die Farm weitervererben, wenn wir zu alt sind, fände ich es schon sinnvoll, sie nach mir zu benennen.«
Mit gerade mal neunzehn Jahren plante mein Freund nicht nur die Übernahme der Farm meines Vaters und das Geschlecht unserer künftigen Kinder, sondern bereits unseren Ruhestand.
Kurz vor Beginn der Abschlussklasse trennte ich mich von Victor.
Danach traf ich mich ein paar Mal mit anderen Jungen. Doch der einzige andere Freund, der mich durch meine Jugend begleitete und mit dem ich dann auch zum Abschlussball ging, war Roger, den meine Mutter für mich in der Kirchengemeinde ausgesucht hatte. Roger war sehr fromm, wollte Pfarrer werden und berührte weder meine Brüste noch andere Körperteile von mir außer meiner Hand – und das auch nur, wenn er während des gemeinsam besuchten Gottesdienstes von etwas sehr ergriffen war.
Meine Mutter fand Roger ideal, und meine Bereitschaft, mit ihm auszugehen, entsprang vermutlich immer noch dem unterschwelligen Wunsch, ihr zu gefallen – so aussichtslos dieses Unterfangen auch war. Dennoch war ich diesem Ziel vielleicht nie näher als in den Monaten, in denen ich mit Roger zusammen war – allerdings um den hohen Preis, zahllose Stunden mit Roger Ferlie verbringen zu müssen. Es tröstete mich jedenfalls, dass mein Vater keinen Hehl daraus machte, was er von dieser Wahl hielt. Mein Vater war immer derjenige, der mich verstand. Meine Mutter dagegen schien mich dauerhaft mit einer anderen Person zu verwechseln.
»Der Junge ist ein Waschlappen, Connie«, erklärte mein Vater. »Ich möchte nicht, dass unsere Tochter sich für den Rest ihres Lebens an jemanden bindet, der mit Slippern zum Tomatenpflücken geht. Ich möchte, dass ihr Mann die Heuballenpresse reparieren und ein Kalb entbinden kann. Wenn er aufgestanden ist, jedenfalls. So gegen Abend.«
Ich hatte Roger von meinem Traum erzählt, in Boston Kunst zu studieren und medizinische Illustratorin oder Kunstlehrerin zu werden. Roger erwiderte, er halte es für wichtig, dass die Frau zuhause bei den Kindern bliebe und das Arbeiten dem Mann überlasse. Als ich mich nach dem Abschlussball von ihm trennte – nachdem wir den ganzen Abend Dame gespielt hatten, weil Roger von Tanzen nichts hielt –, sagte er, er wolle für mich beten.
»Dem wein ich keine Träne nach«, meinte mein Vater, als ich ihm von der Trennung erzählte. Meine Mutter dagegen war untröstlich. Bei diesem Anlass dachte sie zum ersten Mal seit Jahren wieder laut über den Verbleib von Dana Dickerson nach.
»Ich frage mich, was deine Geburtstagsschwester zurzeit macht«, sagte sie damals unvermittelt. »Ich frage mich, ob sie bald eine Familie gründet. Ihr seid ja jetzt beide fast achtzehn. Sie könnte inzwischen schon verlobt sein und will vielleicht bald Kinder haben.«
Bei diesen Worten trat ein bestimmter Ausdruck auf ihr Gesicht. Wir wussten alle, dass meine
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