Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)
keinen Zweifel mehr daran, dass zum ersten Mal seit zehn Generationen kein männlicher Erbe für die Plank-Farm zur Verfügung stehen würde. Einer der Brüder meines Vaters war kinderlos. Der andere hatte auch nur Töchter. Sein dritter Bruder hatte einen Sohn namens Jake, der nun als Erbe für die Farm ins Auge gefasst wurde, obwohl er sich nicht im Mindesten dafür interessierte.
Doch es sollte ohnehin nicht dazu kommen. Drei Tage nach seiner Landung in Vietnam starb Jake mit zwanzig Jahren in Da Nang im Beschuss durch eigene Truppen. Es blieben also tatsächlich nur Mädchen übrig, und keine von uns brachte genügend Interesse für die Landwirtschaft auf, um das harte Leben auf einer Farm in Kauf zu nehmen. Von uns fünf Mädchen war ich die Einzige, die überhaupt etwas für unsere Farm empfand, aber das hatte hauptsächlich mit meinem Vater zu tun. Beruflich wollte ich Bilder malen, nicht Mais anbauen.
Als meine Schwestern und ich noch klein waren, fand niemand Zeit, sich mit der Erbfrage zu beschäftigen. Damals hatte mein Vater genug damit zu tun, das Überleben zu sichern. Doch im Laufe der Jahre spürte man, dass die Frage ihn zu belasten begann. Und Victor Patucci, der im Geräteschuppen den Traktor wartete oder die Bestellungen für Dünger und Samen durchsah, erschien meinem Vater vermutlich zusehends wie ein Fuchs, der um den Hühnerstall streicht.
Das Thema wurde dringlicher, als unsere finanziellen Probleme deutlicher zu Tage traten, denn inzwischen mussten meine Eltern jeden Winter einen Kredit aufnehmen, um die nächste Saison durchzustehen. 1973, als ich dreiundzwanzig wurde, war unser Anwesen bereits mit einer Hypothek von fünfzigtausend Dollar belastet.
Ich arbeitete damals als Grafikdesignerin für eine Firma und bekam erstaunlicherweise immer noch ab und an einen Scheck vom Verkauf von Sexual X-tasy. Ein paar Tage vor Halloween fuhr ich an einem Wochenende nach Hause, um beim Kürbisverkauf zu helfen.
Es hatte wieder eine Dürre gegeben, und obwohl das Getreide eingebracht war, behielt mein Vater besorgt den Niederschlagsmesser im Auge. Unser Kürbisfeld hatte selten so trocken ausgesehen.
Die Sonne ging unter, und man sah, dass das Wetter umschlug. Schwarze Wolken zogen am Horizont auf. Die Kühe im Stall muhten unruhig. Um das Wetter einzuschätzen, orientierte mein Vater sich nicht nur an seinem alten Freund, dem Wetteransager Don Kent, sondern auch am Vieh.
Meine Mutter räumte gerade den Abendbrottisch ab. Winnie und sie wollten an einer Wiegendecke für eine Frau aus der Kirchengemeinde arbeiten, deren Tochter ein Baby bekommen hatte. Unser Vater las die Zeitung und äußerte sein Missfallen über die Regierung. Er hatte Richard Nixon gewählt, sagte aber nun nach Watergate, er habe den Mann noch nie vertrauenswürdig gefunden.
Zuerst dachte ich, jemand hätte im Hof geschossen. Dann kam der explosionsartige Knall. Beim zweiten Schlag wussten wir, dass es sich um Donner handelte. Und als wir auf die Veranda liefen, sahen wir, wie der Blitz in den Stall einschlug. Gleich darauf roch es brenzlig, und Rauch stieg vom Dach auf.
»Den Schlauch, Edwin«, schrie meine Mutter und wählte die Nummer der Feuerwehr.
Ich hatte noch nie zuvor ein brennendes Gebäude gesehen. Binnen weniger Minuten schlugen die Flammen bis zum Dach hoch. Mein Vater fuhr in seine Stiefel, ohne sie zuzuschnüren, und rannte zur Scheune. Nachdem er dreißig Jahre lang Feuer gelöscht hatte, musste ihm niemand erklären, was mit Heu passiert, das Feuer fängt.
Die Schläuche lagen neben der Ballenpresse und waren nicht mehr erreichbar, weil die Hitze schon zu stark war. Und neben den Schläuchen standen unser kostbarer Traktor mit vollem Tank und weitere Benzinkanister.
Als wir anderen den Stall erreichten, hatten die Flammen schon das Vieh erfasst. Ich hatte mein Leben lang Kühe gehört, aber noch nie solche Laute wie jetzt. Das Gebrüll der brennenden Tiere und unsere eigenen Schreie und Rufe erfüllten die Luft, und es roch durchdringend nach verbranntem Fleisch. In der grell erleuchteten Dunkelheit sah ich, wie die Schaukel lodernd zu Boden stürzte, gefolgt von unserem Wetterhahn.
Die Männer meiner Schwestern kamen angerannt – zuerst Andy, dann Chip, Steve und Gary. Wir schleppten in sämtlichen Gefäßen aus der Küche Wasser an – in Einmachtopf, Wischeimer, Kaffeekanne –, aber das blieb so wirkungslos, als hätten wir in die Flammen gespuckt. Sogar die Blätter des Ahorns neben der Scheune
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