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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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hatte nicht eine einzige selbst ausprobiert. Ich war damals zweiundzwanzig Jahre alt, wohnte alleine in meiner Studentenbude in Boston und war immer noch Jungfrau. Meine einzige sexuelle Erfahrung bestand aus meinen Erlebnissen mit Ray Dickerson in Woodstock.
    »Ich habe einen Freund«, sagte ich, um den Typen loszuwerden.
    »Verdammt schade«, erwiderte er. »Ich hätte dir gern in der Wüste die Seele aus dem Leib gevögelt.«

Dana
    Keine Ahnung
    V al und George teilten mir nicht theatralisch mit, dass sie sich nicht mehr liebten. Es gab keine dramatischen Szenen, als George seine Sachen packte und davonfuhr. Er war schließlich immer schon weggefahren. George war so oft unterwegs gewesen, dass niemand mehr wusste, wo er eigentlich hinfuhr und sich aufhielt. Solange ich denken konnte, war er permanent verreist. Deshalb dauerte es eine ganze Weile, bis ich überhaupt merkte, dass er diesmal tatsächlich verschwunden blieb.
    Er war mit ein paar Songtexten und Tonbändern nach Nashville aufgebrochen – darunter einem Liebeslied, für das er Tammy Wynette und George Jones gewinnen wollte.
    Meine Mutter bekam ein paar Postkarten aus Nashville und eine aus Austin, auf der George berichtete, das sei jetzt der wichtigste Ort für Countrymusic. Die nächste Karte kam wieder aus Nashville, und er schrieb, er habe in Kürze ein Treffen mit einem großen Star, dürfe aber dessen Namen noch nicht verraten. Dann rief er mich aus Portland in Maine an und sagte, ein Musikerfreund aus Florida (wer machte denn in Florida bitte schön Countrymusic?) habe ihn mitgenommen und ob wir uns in Portland zum Essen treffen könnten.
    Ich hatte George seit einem Jahr nicht mehr gesehen, und es war noch nie vorgekommen, dass er mich treffen wollte. Der Grund wurde auch offensichtlich, kaum dass wir uns am Tisch niedergelassen hatten.
    »Das Problem mit Demo-Tapes heutzutage«, sagte er, »ist, dass Profiqualität erwartet wird. Um mit meinen Sachen bei den richtigen Leuten Eindruck zu schinden, brauche ich einen erstklassigen Producer und ein paar gute Studiomusiker. Mit tausend Dollar müsste das zu schaffen sein. Ich weiß, dass du Geld für dein Studium gespart hast, aber einen Teil davon brauchst du ja erst nächstes Jahr. Ich hatte gehofft, dass du mir vielleicht unter die Arme greifen könntest.«
    Ich sah ihn an – das Western-Hemd, den braunen Teint (vermutlich aus dem Solarium). Nach seinem Anruf drei Tage zuvor hatte ich mich kurz der Hoffnung hingegeben, dass es vielleicht doch etwas zwischen uns gäbe, wovon ich noch nichts wusste.
    »Mein Vater will doch tatsächlich mit mir essen gehen«, hatte ich zu Clarice gesagt. »Ich weiß, dass ich eigentlich nichts darauf geben sollte, nachdem er uns so oft im Stich gelassen hat. Aber ich kann es nicht ändern: Ich freu mich darüber.«
    »Das ist doch schön«, hatte sie erwidert und mich umarmt. »Aber sieh dich trotzdem vor. Ich möchte nicht, dass du verletzt wirst.«
    Jetzt griff George nach seinem Glas. »In drei Wochen zahl ich es dir zurück«, sagte er. »Höchstens vier. Den ersten Scheck, den ich kriege, überweise ich an mein kleines Mädchen.«
    Ich legte meine Gabel weg. Ich hatte Hühnchen bestellt, aber mir war der Appetit vergangen.
    »Das bin ich nicht«, erwiderte ich. »Ich war nie dein kleines Mädchen, und jetzt bin ich es erst recht nicht mehr.«
    »Weiß ich doch, weiß ich doch«, sagte er. »Du bist erwachsen. Die Zeit ist so schnell vergangen. Ich seh dich noch als Baby vor mir.«
    »Ach ja?«, entgegnete ich. »Erstaunlich. Ich habe keine Erinnerungen an dich aus meiner Kindheit. Du warst nämlich so gut wie nie da.«
    »Ich war auf Geschäftsreisen, Süße«, sagte er. »Eine Familie zu ernähren ist nicht leicht, das kann ich dir sagen.«
    »Tja, du hast es ja auch nicht geschafft«, gab ich zurück. »Du hast dich um nichts gekümmert, sondern alles Val überlassen. Und die war auch eine ziemliche Fehlbesetzung als Mutter.«
    »Deshalb haben wir ja so tolle unabhängige Kinder«, sagte George. »Euch ist nicht alles auf dem Silbertablett serviert worden. Ich wollte, dass meine Kinder von mir lernen, wie man selbstständig ist. Und nun schau dich doch an. Du schaffst es, im Alleingang klarzukommen, das steht mal fest.«
    Ich starrte ihn an. »Wenn überhaupt jemand einen Anteil daran hat, dass ich zurechtkomme im Leben, dann bist es ganz bestimmt nicht du«, erwiderte ich. »Im Gegenteil: dass ich mit dir als Vater überhaupt etwas geschafft habe, grenzt an

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