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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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brannten. Die Vogelscheuchen, die mein Vater aufgestellt hatte, um die Kürbiskunden anzulocken, loderten wie vietnamesische Bauern, die Opfer einer Brandbombe wurden. Das Schild, das ich am Nachmittag gemalt hatte – DIE BESTEN KÜRBISSE WEIT UND BREIT ! ZUM SELBSTERNTEN ! – blieb sonderbarerweise vom Feuer unberührt, aber daneben flatterten Windeln von Winnies Baby rot glühend im Wind. Mein Vater stand neben unserem alten Pick-up wie ein Mann, der den Weltuntergang mit ansehen muss. Und für ihn war es auch das Ende seiner Welt.
    Endlich kam die Feuerwehr mit dem Löschstrahl, aber es war zu spät, um unsere Scheune zu retten. Kühe, Katzen, Geräte, der Traktor. Alles verloren.
    Um Mitternacht war der Spuk vorbei, doch die Überreste der Scheune schwelten noch zwei Tage lang. Meine Mutter, die in Krisen immer am besten funktionierte, schlug vor, dass wir die Kürbisse selbst ernten und sie bei einem Nachbarn verkaufen sollten. Die Plank-Farm war derzeit kein Ort für einen lustigen Ausflug mit Kindern. Hierher kam man eher mit Eintöpfen und tröstenden Worten.
    Wie sich dann herausstellte, waren wir unterversichert. Eine alte Milchkuh namens Marilyn, deren Box neben der offenen Tür gewesen war, hatte dem Inferno entkommen können. Mein Vater hatte die Warnung der Feuerwehrleute missachtet und das Tier wenige Momente, bevor der Dachbalken herabstürzte, befreit. Von den anderen Kühen blieben nur Knochen und Zähne, die meine Mutter einsammelte. Mein Vater weinte zwar nicht, aber diesen Anblick hätte er wohl kaum ertragen.
    Im Frühjahr bauten wir eine neue Scheune. Um den Prozess zu beschleunigen und Geld zu sparen, entschied sich mein Vater für eine Fertigkonstruktion aus Metall mit Kunststoffdach, die Victor ausgesucht hatte. Sie würde nun anstelle der alten Holzscheune errichtet werden, die zur Farm gehört hatte, seit mein Urururgroßvater Gerald Plank mithilfe seiner Nachbarn 1857 den letzten Balken hochgezogen hatte. Jenen Tag hatte Gerald Planks Frau damals in einem Brief an ihre Mutter festgehalten.
    »Als der letzte Balken angebracht war«, schrieb sie, »stiegen die Männer die Leiter herunter und aßen Maisbrot und Rindereintopf, den ich und die anderen Frauen gekocht hatten. Alle bis auf meinen guten Gatten, der, wie es der Brauch verlangt, einen jungen Baum am obersten Balken festband. Jener wird wohl einige Jahre dort verbleiben, denke ich, doch die Scheune wird gewiss noch immer hier stehen, wenn Gerald und ich längst in den Schoß der Erde zurückgekehrt sind.«
    Wir schafften natürlich einen neuen Traktor an – einen gebrauchten Ford 8N, den wir bei einer Auktion ersteigerten. »Der wird ohnehin nicht so lange halten müssen«, sagte mein Vater zu meiner Mutter, als er mit dem neuen Traktor – einem schäbigen Gefährt im Vergleich zu unserem alten rot schimmernden Massey Ferguson – nach Hause kam. »Es steht schließlich keine neue Generation von Planks bereit, um diese Farm zu übernehmen.«
    Mein Vater ersetzte auch die Werkzeuge und kaufte einen Mähdrescher, aber nach dem Brand gab es keine frische Milch und Sahne mehr von unseren Kühen, die mein Vater immer als »unsere Mädels« bezeichnet hatte. Wieder Kühe zu halten, bringe er nicht mehr übers Herz, sagte er.
    Eine Woche nach dem Brand bekam mein Vater den ersten Anruf von einem Grundstücksentwickler – einem Konzern aus Nashua, der von dem Unglück gehört hatte und den Zeitpunkt für geeignet hielt, uns ein Kaufangebot zu machen. Die Meadow Wood Corporation hielt Ausschau nach Grundstücken in ländlicher Umgebung mit guter Anbindung an Einkaufsmöglichkeiten und ärztliche Versorgung, auf denen stilvolle, aber preiswerte Häuser entstehen sollten. Man wolle mit Wohnraum für junge Familien beginnen und später auch auf Wohn- und Pflegeheime für Senioren erweitern. Sehr gerne würden sie jemanden vorbeischicken, der uns ein äußerst attraktives Angebot machen könnte, versicherte uns der Mann.
    »Der hat vielleicht Nerven«, sagte mein Vater, nachdem er aufgelegt hatte. »Will in so einer Krise hier hereinplatzen und mit der Brieftasche wedeln.«
    Im Januar machte mein Vater die Bestellung bei Ernies Samenvertrieb wie jedes Jahr. Doch wir alle wussten, dass die Leute von der Meadow Wood Corporation uns bald am Wickel haben würden, wenn sich nicht grundsätzlich etwas änderte.

TEIL II

Ruth
    Zu dritt in einer eigenen Welt
    N ach meinem Abschluss an der Kunstakademie – zu dieser Feier kamen meine Eltern

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