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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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Grenze nicht überschreiten, um meine Mutter zu beruhigen. Ich spürte noch immer eine harte Stelle in mir, die sich verweigerte. Die auch der Sterbenden die Bestätigung nicht geben wollte, nach der sie verlangte.
    Im Winter waren die Symptome meiner Mutter festgestellt worden, im Frühjahr, als sich die ersten Krokusse durch die Schneedecken drängten, kam dann die Diagnose. Als der Flieder blühte, konnte meine Mutter bereits kaum mehr gehen. »Ich hoffe, ich erlebe die Erdbeeren noch«, sagte sie.
    In den letzten Wochen fragte sie mich, ob meine Geburtstagsschwester von ihrer Krankheit wisse. Auch nach so vielen Jahren ärgerte es mich noch immer, wenn sie über Dana sprach.
    »Wir können sie anrufen, wenn du möchtest, Connie«, sagte mein Vater. Ausnahmsweise saß er tagsüber einmal an ihrem Bett, trank eine Tasse Kaffee. Es war schlimm für ihn, meine Mutter in diesem Zustand zu erleben. Manchmal schaute ich aus dem Fenster und sah ihn draußen auf den Feldern umherwandern, bis der letzte Sonnenstrahl verschwunden war. Ich wusste, dass er nicht ins Haus zurückkehren wollte. Das war der einzige Sommer, in dem ich ihn niemals pfeifen hörte.
    Niemand rief Dana Dickerson an, aber sie kam dennoch, von alleine, in den Tagen um unseren Geburtstag am Nationalfeiertag. Meine Mutter war noch am Leben, aber es ging zu Ende. Seit einigen Wochen schlief sie hauptsächlich und sprach nur noch wenig – was angesichts ihrer Äußerungen in letzter Zeit eine Wohltat war.
    Danas Farm, auf der sie organisches Gemüse anpflanzte und Ziegen hielt, war nicht weit entfernt von uns. Obwohl sie nun selbst Erdbeeren anbaute, stattete sie der Plank-Farm zur Erdbeersaison immer einen Besuch ab, offenbar, um sich mit meinem Vater über landwirtschaftliche Themen zu unterhalten. Als sie am Verkaufsstand mit einer meiner Nichten ins Gespräch kam, erfuhr sie, wie es um meine Mutter stand, und fragte, ob sie ins Haus gehen könne, um Abschied zu nehmen.
    Dana kam in Begleitung einer äußerst attraktiven Frau. Sie selbst war inzwischen eher wie ein Mann gekleidet. Dass die beiden ein Paar waren, ließ sich unschwer erkennen.
    Diese Feststellung erfüllte mich mit einer gewissen niederträchtigen Genugtuung. Indem Dana sich als Lesbe erwies, verlor sie nun bei meiner Mutter bestimmt endlich den Status der besseren Tochter, den sie stets innegehabt hatte. Meine Geburtstagsschwester würde nicht mehr die Tochter sein, die meine Mutter sich immer gewünscht hatte. Ich fragte mich nur, ob meine Mutter noch geistesgegenwärtig genug war, um das zu merken.
    Dana und die Frau an ihrer Seite setzten sich nicht. Sie machten auch keinerlei Anstalten, ihre Beziehung zu verbergen, sondern hielten sich an den Händen. Dana betrachtete das Gesicht meiner Mutter. Sie hatte die Augen geschlossen. Ihre Haut wirkte wie Pergament.
    »Du hast hier in der Gegend immer schon die besten Erdbeeren gehabt, Connie«, sagte Dana. »Ich wollte unbedingt, dass Clarice sie probiert. Meine Partnerin.«
    Meine Mutter öffnete die Augen und sah die beiden an – zuerst Dana, dann die fremde Frau.
    »Du bist homosexuell?«, sagte meine Mutter. »Das haut mich aus den Schuhen.«
    Jetzt ist es so weit, dachte ich. Jetzt kommt der Moment, auf den ich mein Leben lang gewartet habe – meine Mutter erkennt, dass auch Dana Dickerson Schwächen hat, und lernt so endlich ihre eigene Tochter zu schätzen.
    »Ich kann nicht behaupten, dass ich verstehe, wie ihr Frauen das so macht«, sagte meine Mutter. »Aber wenn ihr mich fragt – ich finde das ziemlich sinnvoll. Wer braucht schon Männer mit diesem ganzen komplizierten Gerät, mit dem sie immer so gern angeben? Ich nehme mal an, ihr beiden habt es nett zusammen. Weichere Haut.«
    Niemand hatte Dana auf das Benehmen meiner Mutter vorbereitet, aber sie nahm es mit ruhigem Interesse zur Kenntnis. Ihre Partnerin, Clarice, streichelte die Hand meiner Mutter.
    »Wir sind sehr glücklich zusammen«, sagte Clarice.
    »Na, das find ich schön«, erwiderte meine Mutter. »Das nehm ich mit ins Grab.«
    Ansonsten gab es noch einen kurzen Kontakt mit den Verwandten meiner Mutter aus Wisconsin. Ihre eigene Mutter lebte auch schon lange nicht mehr, aber sie hatte noch zwei Schwestern, die unweit der einstigen Käsefabrik wohnten.
    »Wir dachten, ihr würdet es vielleicht wissen wollen«, begann meine Schwester Naomi das Telefonat. Es geriet sehr kurz, und als Naomi auflegte, sah sie völlig erschüttert aus.
    »Ihre Schwester hat nur gesagt,

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