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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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habe.
    Unterdessen wohnten wir im alten Haus von Valeries Vater am Stadtrand von Pittsburgh. Ich erinnere mich daran, dass ich mich schon damals fragte, ob George mit seinem Buch je Erfolg haben würde. Er erzählte uns die Handlung des Romans gerne bei langen Autofahrten, wie sie bei uns oft vorkamen – aber ich konnte mich nie darauf konzentrieren, was ich als schlechtes Zeichen deutete. Mein Bruder Ray, der gerne fantastische Romane las, hatte mir ein paar Bücher von J. R. R. Tolkien und C. S. Lewis vorgelesen, und obwohl ich die auch nicht mochte, konnte ich doch eine gute Geschichte von einer sinnlosen unterscheiden – wie George sie sich für seinen Roman ausgedacht hatte.
    Sobald ich lesen konnte, verschlang ich jedenfalls Sachbücher, vor allem Biografien über Menschen wie Annie Oakley und George Washington Carver. Und auch Bücher über Tiere und die Natur. Mein Lieblingsbuch aller Zeiten war Ring of Bright Water über zwei Otter. Ich fand es wunderbar, dass es keine Illustrationen, sondern Fotos hatte.
    Ich machte mir Sorgen, dass George das ganze Geld ausgeben würde, während wir auf den Erfolg seines Romans warteten. Was sollte aus uns werden, wenn er das Buch nicht verkaufen konnte? Damals war ich in der dritten Klasse, und es stellte sich heraus, dass ich recht behalten sollte. Binnen Kurzem wohnten wir auf einem Campingplatz in Pennsylvania und danach in Vermont in einem Haus ohne fließend Wasser. Ich kann nicht mehr nachvollziehen, wie meine Eltern überhaupt auf die Idee kommen konnten, an diesen Orten zu wohnen. Lange blieben wir jedenfalls nicht dort.
    Als George verkündete, er wolle jetzt Songwriter für die Country-and-Western-Szene werden, wohnten wir in dem Haus in Vermont. Er hatte eine Idee für eine romantische Ballade, die er ideal fand für Les Paul und Mary Ford. Allerdings ließen sich die beiden gerade scheiden, als er den Song endlich aufnehmen konnte. Aber auch ohne die gescheiterte Beziehung des Duos gab es einige massive Hindernisse für Georges Plan.
    »Musst du nicht Gitarre spielen können oder so, wenn du Songs schreiben willst?«, fragte ich ihn. Er fand, das sei eine gute Idee, und kaufte sich eine Gitarre mitsamt einer Anleitung, mit der man angeblich innerhalb von zwei Wochen Gitarre spielen lernen könne. Ich fand das nicht sehr vielversprechend.
    Damals arbeitete man noch mit richtigen Tonbändern, und George richtete sich in der Garage des Miethauses in Connecticut, wohin wir umgezogen waren, ein Tonstudio ein. Ich war mir nicht sicher, was der Hausbesitzer davon halten würde, dass mein Vater ein Loch in die Garagentür sägte, um mehr Licht zu haben – mal ganz abgesehen davon, dass es in der Garage im Winter ziemlich kalt werden würde.
    Aber bis dahin würden die Schecks eingetroffen sein, versicherte mir George. Dann könnte er sich ein vernünftiges Studio und anderes Zubehör wie eine Hammondorgel zulegen. Vielleicht würden wir sogar nach Nashville ziehen, sagte er. Das war der wichtigste Ort für Countrymusic.
    Ich hielt das für sehr unwahrscheinlich, und ich glaube, Val und mein Bruder sahen das ähnlich, wobei ich von der ganzen Familie am meisten Realitätssinn hatte. Schon als Kind ahnte ich immer, wo Probleme drohten und wo die Wahrheit zu finden war. Wenn die Sonne schien, bedeutete das nicht, dass sie das auch am nächsten Tag tun würde. Es würde Frost und Schnee geben. Wenn es regnete, bedeutete das nicht, dass es keine Dürrezeiten geben würde. Man kann diese Haltung Pessimismus nennen, aber ich begründete sie auf Beobachtungen, nicht auf Einbildungen.
    »Dana steht fest auf dem Boden der Tatsachen«, schrieb eine meiner Lehrerinnen in mein Zeugnis. Diese Bemerkung blieb mir in Erinnerung, weil ich sie als nettes Kompliment empfand, aber ich merkte, dass meine Mutter enttäuscht darüber war.
    »Willst du nicht mal deine Fantasie einsetzen?«, sagte sie, doch mir lag die Wirklichkeit näher – alles, was ich sehen und berühren konnte.
    Ich konnte auch nicht wie mein Vater daran glauben, dass sich das Leben so gestalten würde, wie man es sich wünschte. Und ich war nicht – wie meine Mutter – der Ansicht, dass wir uns nur mit Schönem umgeben sollten. So war das Leben nicht. Das wusste – und akzeptierte – ich schon als Kind.
    Obwohl die Jüngste in der Familie, behielt ich die Rechnungen im Auge. Während die anderen Augenwischerei betrieben, überlegte ich mir, wie wir im schlimmsten Falle durchkommen würden. Meiner Erfahrung nach

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