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Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Das Leben einer anderen: Roman (German Edition)

Titel: Das Leben einer anderen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Maynard
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meine Mutter auch nach dreißig Jahren noch als Fremde. Sie ging regelmäßig zur Bibelstunde und nahm an christlichen Frauentreffen teil, bei denen Rezepte, Haushaltstipps und Mittel gegen Kinderkrankheiten ausgetauscht wurden und man einmal im Jahr Sketche einstudierte, die auf Szenen aus dem Neuen Testament beruhten.
    Zum alljährlichen Ferienbasar steuerte meine Mutter ihre gehäkelten Topflappen bei, um Geld für hungernde Kinder in Afrika zu sammeln, aber außer der Kirchengemeinde hatten meine Eltern keine sozialen Kontakte. Mein Vater ging lediglich zum Futterladen und zu den Treffen der freiwilligen Feuerwehr. Abends las meine Mutter Romane von Agatha Christie oder die Bibel. Als wir dann einen Fernseher bekamen, entwickelte sie allerdings eine erstaunliche Zuneigung zu Dinah Shore – eine Frau, »die dem jüdischen Glauben anhing«, wie sie sich ausdrückte. Aber Dinah Shore sang wie ein Engel.
    »Wenn sie hier wohnen würde, wären wir ganz bestimmt befreundet«, sagte meine Mutter einmal zu mir. Als Dinah Shore sich später mit einem jüngeren Mann einließ – Burt Reynolds –, entdeckte ich am Boden des Nähkorbs ein Klatschblatt mit einem Foto von Burt und Dinah auf dem Cover. Was meine Mutter davon hielt, hat sie mir nie verraten.
    Die einzige echte Freundin meiner Mutter (abgesehen von Val Dickerson, aber die konnte man nicht als Freundin betrachten) war Nancy Edmunds, die Frau unseres Versicherungsagenten, der an derselben Straße wie wir wohnte. Die beiden Frauen trafen sich ab und an zum Kaffeetrinken, wenn die vielfältigen Pflichten meiner Mutter es zuließen. Nancy beschäftigte sich gerne mit Haaren, und meine Mutter hätte zwar niemals Geld im Schönheitssalon ausgegeben, ließ sich aber einmal von Nancy eine Dauerwelle machen. Und ein anderes Mal – das muss viel später gewesen sein, als die beiden schon auf die fünfzig zugingen – färbte Nancy meiner Mutter die Haare pechschwarz. Wenn es in der Absicht gewesen war, meine Mutter jünger wirken zu lassen – um das Grau zu überdecken –, so musste man dieses Experiment als gescheitert ansehen.
    »Du hast doch gut ausgesehen, so wie du warst«, meinte mein Vater, als er das Ergebnis zu Gesicht bekam. Das kam einem Kompliment am nächsten, das ich jemals von ihm hörte; obwohl diese Äußerung vielleicht weniger besagte, dass meine Mutter vorher hübsch gewesen war, als vielmehr, dass sie mit den gefärbten Haaren ziemlich merkwürdig aussah.
    Ein paar Jahre zuvor, als die ältesten Kinder von Nancy Edmunds und ich auf die Highschool kamen, stellte sich heraus, dass Nancys Mann Ralph – der seit jeher unser Versicherungsagent gewesen war – Gelder seines Unternehmens veruntreut hatte. Und Ralph verschwand von einem Tag auf den anderen.
    Eine Woche später erfuhren wir, dass er mit dem Zug nach Las Vegas gefahren war, in der Hoffnung, dort die entsprechenden Summen beim Glücksspiel zu gewinnen, aber dazu kam es nicht. Man fand ihn in einem Motel neben einem Casino, wo er sich an der Duschstange erhängt hatte. Auf dem Bett lag eine Nachricht für Nancy, in der er sich dafür entschuldigte, ihr Leben zerstört zu haben.
    Danach mieden die meisten Leute aus dem Ort Nancy und ihre Kinder, aber meine Mutter hielt zu ihrer Freundin, auch als die Haus und Auto aufgeben und einen Job beim Fleischmarkt annehmen musste. Meine Mutter behauptete, ihre Haltung habe mit einem Bibelvers zu tun, aber ich persönlich glaube, dass sie eher von Dinah Shores positiver Lebensphilosophie geprägt war. Man ließ seine Freunde in schweren Zeiten nicht im Stich. Da wurde man doch am meisten gebraucht.

Dana
    Wurzeln
    N achdem meine Eltern das Haus in New Hampshire verkauft hatten, wohnten wir überall nur noch zur Miete. Vielleicht habe ich deshalb schon sehr früh im Leben beschlossen, irgendwann ein eigenes Stück Land besitzen zu wollen. Was dann darauf stehen würde, war mir nicht wichtig. Mir ging es um die Erde und die Besitzurkunde. Um Wurzeln.
    Val und George maßen derlei keine Bedeutung bei – alles, was Val brauchte, war ein Raum zum Malen. Immer hatte sie Farbe unter den Fingernägeln und arbeitete an irgendwelchen Bildern, die sie aber oft zurücklassen musste, wenn wir wieder einmal umzogen. Als sie starb, gab es nur noch wenige von diesen seltsam traurigen Gemälden, die sie ihr Leben lang gemalt hatte. Hauptsächlich Porträts von Menschen, die nur in ihrem Kopf existierten, und von Landschaften, die es nicht gab.
    Meine Mutter war in

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