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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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Holzwände getrennt und bis zum Dach offen
waren. So befand sich der Hof genau zwischen Kirche und Herberge und konnte von
allen Pilgern gut eingesehen werden.
    Elena
holte nun zu unserem Erstaunen aus ihrem Koffer die Massageliege heraus und
baute sie mitten im Hof auf. Ich sollte mich als Erste darauf legen und einige
Pilger nahmen sogleich „in den Logen“ vor ihren Zimmern Platz und schauten
erwartungsvoll den Dingen, die da kommen sollten, entgegen. Die Liege begann
bei jeder Bewegung so sehr zu wackeln und zu quietschen, dass ich es wirklich
mit der Angst zu tun bekam, dass sie unter mir zusammenbrechen würde. Ich sah
mich schon zum Gespött der Zuschauer auf der Erde liegen. Doch Elena ließ sich
davon nicht beeindrucken und massierte mir nach allen Regeln der Kunst und mit
ihrer ganzen Kraft den Rücken. Langsam begann ich ihr und der Liege zu
vertrauen und die Massage zu genießen. Heidemarie sagte mir später, dass ich
dabei so entspannt wie Schneewittchen in ihrem Sarg ausgesehen hätte. Was für
ein komischer Vergleich! Das erste Mal auf dem Weg, dass ich mich massieren ließ, und gerade heute hatte ich es wirklich am
dringendsten gebraucht! Nach allem Unglück kommt also auch wieder das Glück.
Man darf nur nicht verzweifeln! Die anschließende Fußmassage, vor der ich sogar
ein bisschen Angst gehabt hatte wegen meinen offenen, wunden Füßen, empfand ich
als wundervoll! Elena sagte mir, dass es normal wäre, wie meine Füße nach der
langen Wanderung aussehen würden. Das gab mir wieder neue Hoffnung für meinen
weiteren Fußweg.
    Bei
Sonja sah es schon schlechter aus. Ihre Füße waren dick und hart geschwollen.
Sie empfand so starke Schmerzen beim Massieren, dass sie die Zähne
zusammenbeißen musste und ich ihre Hand fest hielt. Sonja erzählte, dass sie
deshalb auch schon ein Stück mit dem Bus gefahren war, mehrere Massagen hinter
sich hatte und sich bereits verschiedene Medikamente in der Apotheke geholt
hatte. Sie tat mir leid und ich konnte verstehen, warum sie gestern so einen
frustrierten Eindruck gemacht hatte. „Gehen wir dann zusammen essen?“, fragte
sie mich erwartungsvoll und ich sagte gern zu. Immerhin war es nun schon einige
Tage her, seitdem ich das letzte Mal gut gegessen hatte.
    Wir
bedankten uns bei der netten Masseurin, die sich freute, ein paar Euro verdient
zu haben, und - wir konnten tatsächlich deutlich besser laufen. Als zwei
Leidensgefährten suchten wir in dem hübschen kleinen Städtchen zunächst ein
Geschäft, um unsere Vorräte aufzufüllen, und schließlich ein nettes Restaurant,
wo wir uns ein gutes Pilgermenü und einen nicht weniger guten Rotwein schmecken
ließen. Sonjas Erzählfluss lief nun wie ein aufgedrehter Wasserhahn. Sie hatte
ein unheimliches Redebedürfnis und bald darauf wusste ich über sämtliche
Familienprobleme Bescheid. Nun konnte ich noch besser ihre Frustration
verstehen. Das Hauptproblem bestand wohl darin, dass sie nichts aufgeben
wollte, weder ihren Hund noch die Kleintiere noch das Haus und den Garten. Ihre
Kinder waren schon ausgezogen und ihr Mann machte ihr das Leben zur Hölle. Fine
Alternative wäre nur eine Wohnung in der Stadt, was sie aber nicht wollte...
    Ich
dachte daran, dass man oft bei anderen genau weiß, was sie in ihrem Leben
ändern müssten, aber wie schwer das ist, sieht man am besten an sich selbst.

25.
Heidemarie und die Überwindung des O Cebreiro
     
    Am
nächsten Morgen ging ich aber nicht mit Sonja los, sondern mit Heidemarie, die
mit mir in dem Zweibettzimmer geschlafen hatte. Sonja schnatterte uns einfach
zu viel. Heidemarie war eine interessante, sehr liebe und viel jünger wirkende
siebzigjährige Frau mit deutschen Wurzeln und kanadischer Staatsbürgerschaft,
auf die sie sehr stolz war. Geboren und aufgewachsen war sie in Litauen, von wo
sie während des zweiten Weltkriegs zusammen mit ihrer Familie nach Deutschland
fliehen musste. Hier fühlte sich die Familie nie richtig heimisch, weshalb sie
nach dem Krieg nach Kanada auswanderte. Dieses Land betrachtete Heidemarie
heute noch als ihre Heimat, obwohl sie in ihrer Jugendzeit einen deutschen
Ingenieur kennen und lieben lernte, mit dem sie fünfzehn Jahre in Madrid lebte.
Dort bekam sie fünf Kinder, ehe sie die Konsequenzen aus der
Alkoholabhängigkeit ihres Mannes zog und ihn verließ. Zusammen mit den Kindern
zog sie dann nach Deutschland und baute sich eine neue Existenz auf. Bis zu
ihrem siebzigsten Lebensjahr arbeitete sie in einem Münchner Betrieb

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