Das Leben in 38 Tagen
Allerdings gab sie
auch zu, dass sie das Verhalten der Ordensschwestern schon ganz schön verletzt
und auch etwas ängstlich gemacht hatte und sie nun doch lieber in Begleitung
weiterlaufen würde. Außerdem wollte sie von nun an Massenherbergen meiden. Das
konnte ich gut verstehen, zumal die morgige Etappe schon wieder hinauf in die
Berge bis auf 1300 Meter Höhe führen würde. Im Moment befanden wir uns noch am
Rande der schmalen Ebene des Bierzo, die gerade mal auf 500 Metern Höhe lag,
aber nun beschlossen wir beide, zusammen die Berge zu überqueren. Mein
mitleidiges Herz hatte wieder einmal über den Wunsch, eigentlich allein laufen
zu wollen, gesiegt, aber Heidemaries freudiges Gesicht entschädigte mich
sogleich dafür.
Vor
dem Aufstieg zum höchsten Punkt, dem berühmten O Cebreiro, wurde wieder sehr
gewarnt, denn es sollte elf Kilometer ziemlich steil nach oben gehen. Deshalb
wurde auch kurz davor ein Rucksackservice angeboten, den Heidemarie gern
annehmen wollte. Alle älteren Pilger, die ich traf, hatten ein bisschen Furcht
vor dem Aufstieg und auch ich hatte Respekt! Aber gerade liefen wir noch im Tal
des Flusses Valcarce . Links und rechts der Straße
standen uralte Bäume, in deren Schatten es sich gut lief, aber leider ging es
nun kilometerweit immer nur am Rande der Landstraße entlang.
Dies
war genau der Abschnitt, wo man sich zwischen einem landschaftlich zwar
schönen, aber schwierigen und steilen Weg oder der Straße entscheiden musste, und
wir hatten uns für die leichtere und etwas kürzere Strecke entschieden. Leider
wirkte der Beton nicht gut auf meine Füße und langsam bekam ich wieder
Probleme. Die LKWs rauschten mit einem Tempo vorbei, dass der Luftzug uns die
Hüte vom Kopf wehte. Dabei hatte ich Glück, dass mein Hut noch irgendwo auf der
Straße liegen blieb, während Heidemaries schöner breitkrempiger Hut, der das
Geschenk von ihrem Sohn war, unterhalb der Straße auf einem Baum landete. Dort
konnten wir ihn trotz halsbrecherischer Rettungsversuche über die
Straßenabsperrung hinaus leider nicht mehr erreichen und Heidemarie musste ohne
ihren Hut weiter laufen.
Zu
Mittag aßen wir in der Bar eines winzigen Dörfchens, das aus dem letzten
Jahrhundert übrig geblieben zu sein schien. Es gab Nudelsalat, welcher herrlich
hausgemacht schmeckte. Die kleinen alten Häuser, ja selbst die Menschen und
ihre Tiere strahlten einen ruhigen und doch gleichzeitig einladenden Frieden
aus, wie man es nur noch selten findet.
Eine
alte Frau lief mit einer Kiepe voll Gras vorüber, eine Katze im Schlepptau,
während ein ebenso alter Mann einen Leiterwagen mit Ochsen führte, dem ein Hund
voransprang. Während die beiden alten Leutchen nun genau in unserer
Blickrichtung erst einmal ein längeres Gespräch führten, schienen sich auch
ihre Tiere über die Begegnung zu freuen und rannten immerzu um den Leiterwagen
herum. Wir saßen draußen unter einem durchsichtigen Plastikdach auf der einen
Straßenseite, während sich die gemütliche kleine Bar mit auffallend netter
Bedienung genau gegenüber auf der anderen Straßenseite befand. Aber da in dem
kleinen Ort etwas abseits der Landstraße kaum ein Auto fuhr, spielte das keine
Rolle.
Außer
uns saßen noch zwei Fahrradpilger aus Holland und ein dänisches Ehepaar mit
einem zehnjährigen Mädchen an den Tischen. Wir unterhielten uns sehr lustig
international und staunten dabei über das Mädchen, das täglich fast zwanzig
Kilometer mit ihren Eltern lief. Am liebsten wären wir gar nicht mehr
aufgestanden, so wohl fühlten wir uns hier in dem kleinen Dorf mit dem Flair
vergangener Zeiten, beschützt unter dem Plastikdach und dem Schatten der alten
Bäume, aber wozu hatte ich schließlich meinen Plan?
So
ging es nach dem kleinen Abstecher in die Gemütlichkeit also weiter auf dieser
öden Landstraße, und bald schon konnte ich kaum noch laufen vor Schmerzen in
den Füßen. Zum Glück für uns war der Hauptverkehr inzwischen auf eine neue
Schnellstraße umgeleitet worden, die nun über unseren Köpfen hinwegführte, so
dass es hier nicht mehr so lebensgefährlich wie zu Hapes Zeiten war. Trotzdem fand ich es sehr, sehr anstrengend, stundenlang auf dem
Randstreifen der alten Straße entlangzugehen, und ich hatte Mühe, der
siebzigjährigen Heidemarie, die meist voran lief, zu folgen. In jedem
Bushäuschen musste ich heute Rast machen, wobei mir manchmal die Tränen liefen
und ich mich dafür ein bisschen vor Heidemarie schämte. Diese schien mich
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