Das Leben in 38 Tagen
aber
gern zu bemuttern und ich erzählte ihr ein wenig von meinen Sorgen der letzten
Jahre. „ Hape ist das Laufen auch so schwer gefallen“,
dachte ich oft und dabei fiel mein Blick immer wieder nach rechts auf den mit
Büschen und Bäumen bewachsenen Hügel, wo wir den steilen, aber schöneren
Pilgerweg vermuteten. Erschöpft von dem komischen Camino heute und den besonderen Anstrengungen der letzten drei Tage landeten
wir schließlich an einem Drei-Sterne-Hotel neben der Straße, wo auffallend
viele LKWs auf dem großen Parkplatz standen.
Direkt
dahinter türmte sich nun steil und dicht bewaldet das Gebirge auf. „Wollen wir
hier erst einmal Kaffee trinken und eine Pause machen?“, fragte ich und
Heidemarie stimmte erfreut zu.
Wir
nahmen auf der Terrasse Platz, stellten unsere Rucksäcke ab und ich machte nun
sofort wieder meine Füße frei und legte sie hoch auf einen Stuhl. Endlich!
Heidemarie hatte im Gegensatz zu mir mit ihren Füßen keine Probleme, aber sie
wollte gern mit mir hier übernachten. „Eigentlich sind wir heute genug
gelaufen, fast 24 Kilometer. Wollen wir uns hier nicht ein Zimmer teilen?“,
fragte sie mich erwartungsvoll. Ich antwortete, dass wir uns die Zimmer ja mal
ansehen könnten, aber dass wir eigentlich unser Ziel für heute noch nicht ganz
erreicht hätten. Also vertagten wir zunächst das Thema und wandten uns erst
einmal einem gemütlichen Kaffeetrinken und Ausruhen zu. Da keine Bedienung kam,
ging Heidemarie hinein und versorgte uns beide wie eine Mutter mit Kaffee und
Kuchen. Es schien ihr Spaß zu machen, mich zu verwöhnen, und ich genoss es,
während ich gleichzeitig ihre Energie bewunderte. Als wir uns beide ein
bisschen erholt hatten, sah ich plötzlich einen Pilger mit einem grauen
breitkrempigen Hut, grauer Jacke und ebenso unwirklich grauem Gesicht die
Stufen zum Hotel hinauf schleichen. „Ach, da ist ja noch ein Pilger so fertig
wie wir!“, sagte ich und im nächsten Moment musste ich laut lachen, denn da
erkannte ich erst, wer sich hinter der grauen Maske verbarg. Es war Elke und
sie kam von einem Höllentrip, wie sie uns erzählte. Nun tat es mir leid, dass
ich so gelacht hatte, weil ich sie für einen fremden Pilger und auch noch für
einen Mann gehalten hatte. Im Gegensatz zu unserer Begegnung heute Morgen sah
sie völlig verändert aus. Die Hamburgerin schien völlig fertig zu sein, was
total ungewohnt bei ihr war; sie ließ sich auf einen Stuhl fallen und musste
erst einmal verschnaufen. Ihr Gesicht trug einen ganz anderen Ausdruck, als sie
zu erzählen begann:
„Ich
bin den Camino duro , den harten Weg gegangen, weil er
besonders schön sein sollte, und bis oben war er das auch. Schön und
anstrengend! Doch als ich endlich oben ankam, hatte sich der schmale Pfad auf
einmal zwischen dem Heidekraut verloren und ich befand mich plötzlich ganz
allein inmitten von schwarz verbranntem Heidekraut und Ginster. Hier musste es
vor nicht allzu langer Zeit einen Waldbrand gegeben haben. Auch die Bäume, alles
sah beängstigend schwarz aus und roch verbrannt. Nirgends war eine Markierung
oder ein Weg zu erkennen und kein Mensch ließ sich weit und breit blicken! Ich
muss wohl so in Gedanken gewesen sein, dass ich mich total verlaufen hatte, und
nun wusste ich plötzlich nicht mehr, wohin ich gehen sollte. Zurück wollte ich
nicht, weil der Aufstieg schon sehr anstrengend gewesen war und ich außerdem
auch keinen Menschen getroffen hatte. Also ging ich einfach geradeaus, wo ich
von unten den Lärm der Straße hörte.“
Elke
musste erst einmal absetzen, weil sie das so aufgewühlt hatte, und wir beide
warteten gespannt, bis sie sich etwas erholt hatte und weitersprechen konnte:
„Plötzlich war ich an einem steinigen Abhang angelangt, wo es entweder steil
bergauf oder bergab ging. Ich entschied mich für den Weg nach unten, der ja
eigentlich keiner war, aber ich konnte von hier aus wenigstens das Tal sehen.
Diesen Abstieg hatte ich völlig unterschätzt. Teilweise hing ich nur noch an
Ästen und hatte keinen Boden mehr unter den Füßen. Die Steine rollten unter mir
weg und ich fürchtete, dass mich der schwere Rucksack nach unten ziehen und ich durchbrechen und abstürzen würde. Ich musste
mich wirklich von einem Baum zum anderen hangeln und wusste nicht, ob mich die
Äste halten würden. Ich sah nur noch Gestrüpp und Steine und den steilen
Abhang. Auf einmal hatte mich wirklich der Mut verlassen und ich zweifelte, ob
ich je heil unten ankommen würde. Ich hatte
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