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Das Leben in 38 Tagen

Das Leben in 38 Tagen

Titel: Das Leben in 38 Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cornelia Scheidecker
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Ich brauchte
unbedingt die Klebebinden, doch in jeder Apotheke, in der ich fragte, bekam ich
eine abschlägige Antwort. Das konnte doch nicht wahr sein! Immerhin hatte ich
diese Pflasterrolle schon zweimal in Spanien gekauft! Die Stadt erschien mir
langsam immer unangenehmer. Eine richtige schmutzige Industriestadt, in deren
Nähe schon seit der Römerzeit Kohle und Eisenerz abgebaut wurden. Außer dieser
eingerüsteten Templerburg gab es kaum etwas zu sehen und nun hatte ich mich
auch noch verlaufen.
    Nirgends
ein Pfeil oder eine Muschel! Nur endlos harter Beton, der die Füße marterte,
graue, gleichförmige Häuser und Menschen, die mir nicht helfen konnten.
    Ich
war den Tränen nahe, als ich endlich ein junges Mädchen mit einem
Pilgerrucksack traf und sie schon fast verzweifelt gleich auf Englisch
ansprach: „Do you know where’s the camino?“ Sie antwortete :
„I don’t know. I want to go to the bus station. Where are you from ?” Wieder einmal war die
Überraschung groß, als wir beide feststellten, dass wir aus dem gleichen Land
kamen. „Ja“, sagte sie, „ich kann im Moment nicht mehr weiterlaufen, meine Füße
machen seit den Bergen nicht mehr mit. Ich fahre jetzt mit dem Bus bis nach
Lugo. Das liegt etwa hundert Kilometer von hier entfernt, und dann werde ich
weitersehen, ob ich die letzten hundert Kilometer vielleicht später noch laufen
kann!“ Ich erzählte ihr von meinen Fußproblemen und dass ich nirgendwo die Klebebinden
bekam. „Meinst du die Leukoplastrolle ? Die kannst du
von mir haben, ich bin total allergisch darauf.“ Ich glaubte meinen Augen nicht
zu trauen. Das Mädchen holte die Originalrolle aus Deutschland aus ihrem
Rucksack und es war noch nicht viel davon verbraucht. Wenn das kein Wunder war!
Genau an der Stelle, wo ich nahe daran war zu resignieren, tauchte dieses
Mädchen mit dem Superpflaster auf. Danke, lieber Gott!
    Nun
fanden wir sogar noch einen Spanier, der uns den Weg zeigen konnte, und auf der
nächsten Bank umklebte ich erst einmal liebevoll
meine beiden Füße mit Leukoplast, das sowieso noch besser als das spanische Coloplast war! Ich war glücklich und die Stadt sah auch
gleich wieder deutlich besser aus... Es gab tatsächlich Springbrunnen, Grünanlagen
und Parks zwischen den Hochhäusern und nicht weit entfernt vor mir liefen auf
einmal sogar zwei Pilger. Wieder einmal wurde mir bewusst, wie eng doch
manchmal Glück und Unglück nebeneinander liegen und wie man alles von zwei
Seiten betrachten kann!
    Ich
lief über die große Brücke, die über den Fluss Sil führte, hinaus aus der Stadt und weiter ging es unter schattigen Bäumen auf
einem angenehm gleichmäßigen Feldweg. Später wechselten sich kleine Straßen und
Feldwege mit bunten Dörfern ab. Die Orte waren hübsch, mit kleinen Geschäften,
Bars und Dorfbrunnen sowie den alten Kirchen mit ihren fast schon
obligatorischen Storchennestern auf den Türmen. Auf einem Friedhof neben einem
Obstgarten machte ich erste Rast. Wie ruhig und friedlich es hier war! Ich freute
mich über die ersten Rosen und die bunten Blumen.
    In
den Gärten und auf den Feldern arbeiteten die Menschen und grüßten freundlich.
Blühende Kirsch- und Apfelplantagen säumten die Wege, dazwischen lockerten
Kornfelder und Weinberge das Bild auf. Vor und hinter mir konnte ich auf die
hohen Berge blicken, deren einzelne Spitzen teilweise noch mit Schnee bedeckt
waren. Diese fruchtbare schmale Ebene zwischen zwei Gebirgen, die ich nun
durchschritt, wird Bierzo genannt, während die Hauptstadt dieser herrlichen
Landschaft die Industriestadt Ponferrada ist, deren zwei Gesichter ich gerade
kennen gelernt hatte.
    Die
Sonne schien und es wäre eine Lust gewesen, zu laufen, wenn mich meine Füße
nicht so gequält hätten. Wahrscheinlich war der steile und steinige Weg gestern
doch zu anstrengend gewesen, denn nach anfänglicher Besserung mit dem neuen
Verband tat mir nun jeder Schritt weh. Eigentlich hatte ich ja immer gehofft,
dass mir irgendwann die bewussten Flügel wachsen würden, aber langsam hatte ich
das Warten aufgegeben. In jedem Dorf suchte ich nun eine Bank, zog meine Schuhe
aus, massierte meine Füße und versuchte, meine Schultern zu entlasten. Außerdem
spürte ich jetzt schmerzhaft den Teil des Rückens, auf den ich gestern in der
Dusche gefallen war. Langsam tat mir wirklich so ziemlich alles weh...
    Ich
dachte über meine Beweggründe nach, den Weg zu laufen. War es überhaupt
möglich, seelische Schmerzen mit den

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